Ein schneller Abstieg

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buecherfan.wit Avatar

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Philippe wird von seiner Noch-Ehefrau vor die Tür gesetzt und verliert wenig später auch seinen Job, weil er wegen seiner privaten Probleme nicht mehr die geforderte Leistung erbringt. Seine Frau unterbindet auch den Kontakt zu seiner geliebten Tochter Claire. Sie zieht weg, ohne eine Adresse zu hinterlassen und stellt nur noch finanzielle Forderungen. Für Philippe vollzieht sich der soziale Abstieg sehr schnell. Er gerät sofort in den Teufelskreis “ohne Job keine Wohnung - ohne Wohnung kein Job” Seine Freunde wollen oder können nicht helfen. Er ist auf sich gestellt, lebt auf der Straße und bettelt, als sein letztes Geld verbraucht ist. Er begegnet dem Hund Baudelaire, den er zunächst verscheucht, dann aber als Begleiter akzeptiert, nachdem dieser ihn aus einer sehr gefährlichen Situation befreit hat. Philippe übernimmt seinerseits Verantwortung für den Hund, die beiden werden unzertrennlich. Der Obdachlose findet neue Freunde, die ihm helfen, wieder Fuß zu fassen und existierende Hilfsangebote anzunehmen.

Harold Cobert beschreibt sehr einfühlsam und kenntnisreich die hässlichen Details des Lebens auf der Straße und schont den Leser dabei nicht. Zum Beispiel zeigt die drastische Beschreibung der Nächte in den Auffangstellen für Obdachlose, dass diese sich kein schönes Leben auf Kosten der Allgemeinheit machen, sondern unzumutbare Bedingungen akzeptieren müssen (“Es beginnt eine Symphonie der Magensäfte und Rachenschleimhäute. Man hört nur noch sägendes Schnarchen, kollernde Mägen, Darmgeräusche, Räuspern, Geröchel und endlose, erstickungstodähnliche Hustenanfälle. Dazu die stummen, schmierigen Geruchsarien, gewürzt mit dem scharfen Schweiß feuchter Achseln und Füße und den üblichen, durch gepanschten Wein und kalten Rauch verpesteten Mundgerüchen. S. 169). Cobert macht deutlich, wie schnell es vorbei sein kann mit dem komfortablen Leben des Normalbürgers, der gar nicht ahnt, dass ihn manchmal nur wenige Schritte vom Abgrund trennen. Als Leser erkennt man sich in den verlegenen, abwehrenden Reaktionen wieder. Man hat selbst oft genug weggeschaut und auch kein Geld gegeben, weil man die Echtheit der Notlage angezweifelte oder einfach nur Ekel empfand. Der Roman schockiert und stimmt nachdenklich, aber er berührt auch durch die Beschreibung der innigen Liebe eines Vater zu seinem Kind und der Beziehung zwischen Mensch und Hund, die dem obdachlosen Philippe hilft, nicht aufzugeben, für seine Rechte zu kämpfen und letztlich ganz einfach zu überleben. Der Roman ist ein Appell an unser Mitgefühl und verändert gleichzeitig unsere Wahrnehmung sozialer Probleme und unverschuldeter menschlicher Tragödien. “Ein Winter mit Baudelaire” ist ein Roman, den man so schnell nicht vergisst.