Zauberhafter und rührender Roman, der in dunklen Zeiten spielt

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Darum gehts:
Es ist der 5. August 1936 in Berlin. Elfie arbeitet in der Chocolaterie Sawade Unter den Linden. Zwischen feinsten Schokoladen, Trüffeln und Marzipan kann sie dem sich anbahnenden Krieg und ihren eigenen Dämonen für eine Weile entfliehen. Es ist eine unmenschliche Zeit, in der Elfie und ihre Kollegin Trude, der Buchhändler Franz, der Barbesitzer Issa , die alte Dame Marie Conte und weitere Nachbarn leben. Während sie eine ältere Dame kennen lernt und dort ihre Nachmittage mit deren Geschichten verbringt, erfährt Elfie von einem Geheimnis rund um eine verbotene Liebe und eine besondere Praline.

Meine Meinung:
Hach, was soll ich sagen? Dieser eher - und das meine ich nicht im Geringsten despektierlich - unscheinbare Roman, hat mich völlig mitnehmen und verzaubern können. Zunächst muss gesagt werden, dass hier zwei krasse emotionale Gegensätze aufeinanderprallen. Zum einen die fürchterliche Zeit während des Nationalsozialismus, der sich immer weiter ausbreitet, große Ängste in den Menschen schürt und weitreichende Folgen für die jüdische Bevölkerung hat und auf der anderen Seite eine feine Chocolaterie in der Berliner Prachtstraße Unter den Linden, welche die Menschen mit schokoladigen Köstlichkeiten verwöhnt und eine geheimnisvolle Geschichte birgt.

Der Roman spielt an drei Tagen, wie der Titel schon verrät. Die Protagonistin Elfie ist mir innerhalb kürzester Zeit ans Herz gewachsen. Ich mag ihren geheimnisvollen Charakter, ihrem Umgang mit Mitmenschen und ihre Hingabe, die sie für die Chocolaterie aufbringt. Anne Stern gelingt es auf beeindruckende Weise ihren Leser:innen die Leidenschaft Elfies für die Pralinerie näher zu bringen. Der Duft nach Schokolade liegt während des Lesens immer wieder in der Luft, was insbesondere an den detaillierten Beschreibungen und der bildhaften Sprache der Autorin liegt. Sehr eindrücklich und mit viel Wissen über die damals vorherrschenden Verhältnisse schildert Anne Stern die Machtübernahme Hitlers und die daraus resultierenden Geschäftsschließungen vieler Läden und Restaurants in der Umgebung.

Fast alle Figuren der Geschichte sorgten dafür, dass ich mich trotz der dramatischen Zeit, in welcher der Roman spielt, wohl fühlte. Trude, Elfies Kollegin mag etwas naiv erscheinen, hat ihr Herz aber am rechten Fleck. Beide verbindet eine Freundschaft, die nur zaghaft aber doch immer wieder an die Oberfläche kommt. Der Besitzer der Confiserie, Gerard, die alte französischstämmige Dame Marie Conte, mit der Elfie viel Zeit verbringt und in Erinnerungen schwelgt und deren tragische Liebesgeschichte mich zu Tränen rührte, Issa El Hamady, Barbesitzer mit ägyptischen Migrationshintergrund aus der Nachbarschaft und heimlicher Verehrer von Elfie. Sie alle sorgen für eine wunderbare Geschichte und allesamt wurden für mich während des Lesens unverzichtbar. Am Meisten berührt hat mich jedoch das Schicksal des jüdischen Buchhändlers Franz Marcus, der eine Möglichkeit sucht das Land zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Besonders tragisch, da Trude und er einander näher kommen.

Anne Stern hat einen wunderschönen Schreibstil, der die kleine Chocolaterie zum Leben erweckt. Ich fühlte mich umgeben von den schmackhaftesten Pralinen und hatte eine genaue Vorstellung, wie der Laden ausgesehen haben muss. Für mich als gebürtige Berlinerin und jemand der lange in der Stadt lebte, war die Geschichte besonders ergreifend und emotional. Die Orte kenne ich persönlich sehr gut und versuchte mir vorzustellen, wie sie damals ausgesehen haben mögen und welche Wirkung sie auf die Menschen hatten. Das Hotel Adlon und die Olympiade, die 1936 in Berlin stattfand, haben als Nebenhandlung durchaus auch eine Bedeutung. Die Euphorie der Menschen wegen des Sportereignisses in der Stadt, die steigenden Ängste der Bewohner wegen des sich anbahnenden Krieges und die sich auftuende Schwermut beschreibt Anne Stern auf einprägsame Weise.

Die vielfältigen Charaktere und ihre Einzelschicksale gehen sehr nah, sodass die Idee, die Handlung an drei Tagen spielen zu lassen, der Geschichte gut tut. Ich war beeindruckt von dem großen Hintergrundwissen der Autorin, die sich intensiv mit der der damaligen Zeit, der Historie um die Pralinerie Sawade und vor allem auch der Herstellung von Schokolade, Trüffeln und Co. auseinandergesetzt hat. Dass sie viel Zeit in Recherchen für die Geschichte investiert hat, ist dem Roman durchweg anzumerken. Drei Tage im August empfinde ich auch als eine Liebeserklärung an Berlin, so detailreich und liebevoll werden die Handlungsorte zum Leben erweckt und wird der Dialekt eingebunden. Es ist eine Erinnerung an große jüdische Künstler wie Käthe Kollwitz und Max Liebermann, aber auch an Blumenmädchen, Straßenhändler, Leierkastenspieler und großen Sport, der auch damals die Menschen vereinte.

Ich denke ihr könnt schon anhand der Länge dieser Rezension erkennen, dass ich mich schwer tue aufzuhören. Ich kann wirklich keine Kritikpunkte ausmachen, so wunderbar wird dieser Roman von der Autorin erzählt. Ich bin sehr froh, auf das Buch aufmerksam geworden zu sein und kann es jedem, der sich mit der Thematik auseinandersetzen möchte nur empfehlen. Es wird auch ganz bestimmt nicht mein letztes Buch von Anne Stern gewesen sein, denn der Erzählstil hat mich sehr bewegt und für sich einnehmen können.

Einer der bewegendsten Romane die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Voller Gefühl, Sinnlichkeit, starken Charakteren und köstlichen Pralinen. Und ein Buch über meine Stadt, das sehr gelungen die Berliner Orte, ihre Geschichte und ihre Bewohner:innen beschreibt. Ich habe Tränen geweint.