Präzise Charakterstudie einer so ungewöhnlichen wie tödlichen Antiheldin

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alekto Avatar

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Hornclaw sitzt in der U-Bahn. Ihr Look, der aus einem elfenbeinfarbenen Filzhut, einem T- Shirt mit Blumendruck, einem khakifarbenen Leinenmantel und einer schwarzen Hose besteht, ist die perfekte Fassade einer Mittelklasse-Seniorin. Doch Hornclaw, die in der Schädlingsbekämpfung tätig ist, ist zum Arbeiten dort. Und so endet einer der anderen Anwesenden mit einem Gift getränkten Messer im Rücken, ohne dass es den vielen Fahrgäste, die wie Moluskeln aneinandergedrängt die U-Bahn füllen, aufgefallen wäre.

Byeong-mo Gu hat eine starke Einführung für ihre ungewöhnliche Protagonistin gefunden. Denn dieser Roman wird primär aus Sicht der Titelgebenden Frau mit Messer erzählt. Das ist Hornclaw, die nur unter ihrem Decknamen bekannt ist. Trotz ihres Alters, das jenseits der 65 Jahre liegt, ist sie immer noch eine fähige Auftragsmörderin. Zwar gibt sie sich manchmal Tagträumereien von einem kleinen Imbiss hin, in dem sie Hühnchen verkaufen will, aber eigentlich denkt sie gar nicht daran in den Ruhestand zu gehen. Dabei ist sie schon so lange im Geschäft, dass Mr. Son bereits der dritte Agenturchef ist, für den sie arbeitet. Hornclaw hätte selbst nie erwartet derart lang zu überleben. Und so gehört sie gleich zwei verschiedenen Minderheiten unter Auftragsmördern an: den Frauen und den Alten.
Der Roman gibt tiefe Einblicke in die Gedankenwelt Hornclaws. Dabei verschwimmen Gegenwart und Vergangenheit, wenn Hornclaw sich Erinnerungen hingibt. Auch führt sie innere Zwiegespräche mit Ryu, der sie einst ausgebildet hat und dessen Kommentare zu ihren aktuellen Handlungen sie sich genau vorzustellen vermag. Denn sonst ist Hornclaw allein - abgesehen von ihrer schlauen, ihre Herrin so wie sie ist akzeptierenden Hündin Deadweight.
Indem der Roman weniger aus Dialogen und mehr aus Gedankengängen besteht, in denen sich Gegenwart und Vergangenheit abwechseln, fiel mir deren zeitliche Einordnung und generell der Einstieg in diesen besonderen Roman nicht unbedingt leicht. Da auch dessen Schauplatz Seoul nicht unbedingt für den internationalen Massenmarkt kompatibel beschrieben wird, hat dieser Roman aber einen der ungewöhnlichsten Anfänge, die ich seit langem gelesen habe. Seoul ist bei Byeong-mo Gu nicht die freundlich lächelnde Touristenstadt. Als Seniorin ist Hornclaw nicht nur in der Arbeit, sondern auch in ihrem Alltag fortwährend abfälligen Bemerkungen ausgesetzt (z.B. wenn sie ein Fitnessstudio besucht oder sich die Nägel machen lassen will). Der Humor ist nicht unbedingt das, was ich gewohnt bin, aber das der so bissig ausgefallen ist und nach allen Seiten ausgeteilt hat, hat mir gut gefallen. Am Rande lässt die Autorin eine Vielzahl sozial relevanter Themen mit einfließen, die etwa die Verdrängung traditioneller koreanischer Märkte durch große Supermärkte oder auch die Versorgung der Armen in Kliniken zweiter Klasse betreffen. Hornclaw ist zwar selbst nicht von Armut betroffen, doch um unauffällig zu bleiben, bewegt sie sich in diesen Vierteln und registriert, wie hart die dort lebenden Menschen unter der Rezession zu leiden haben.

Da Byeong-mo Gu sich Zeit damit lässt, ihre ungewöhnliche Antiheldin vorzustellen und die sozialen Zustände des sie umgebenden Seoul zu schildern, braucht die Handlung ein wenig bis sie in die Gänge kommt. Längen hat der Roman aber keine für mich gehabt, weil Spannungsschübe immer dann aufkommen, wenn zeitlich in der Vergangenheit angesiedelte Ermordungen geschildert werden. Dabei gleicht keine Tat der anderen. Hornclaw und ein junger, talentierter Kollege sind Profis. Indem die Schädlingsbekämpfer nie erfahren, wer die Agentur beauftragt hat, bleibt im Gegensatz zu vielen anderen Krimis das Motiv meist im Dunkeln. Stattdessen wird die Manipulation des Tatorts und insbesondere die Beseitigung aller Beweismittel ausführlich beschrieben. Bei den Taten von Hornclaw, die erst wenige Wochen oder Monate zurück liegen, ist aber das größte Problem ihr Alter. Sie ist dafür zwar erstaunlich fit, da sie täglich trainiert, doch ist sie unvorsichtiger, wird schneller müde und ihre Verletzungen heilen nicht mehr so leicht wie früher.
Dieser Roman hat mich in der präzisen Charakterisierung seiner ungewöhnlichen Antiheldin überzeugt, die in all ihren Facetten beschrieben wird. Zudem bindet Byeong-mo Gu soziale Aspekte mit ein, indem sie ein Porträt der Stadt Seoul entwirft, das nicht der glänzenden, hypermodernen Fassade entspricht, die Touristen zu sehen bekommen, sondern von ärmeren Vierteln geprägt ist. Dort leben die Alten und Abgehängten, die am schwersten von der Rezession getroffenen wurden. In diesen Teilen ist der Roman mehr Drama, das von schweren Schicksalen erzählt, und hat seine berührenden Momente, wenn die sonst so distanzierte Auftragsmörderin Hornclaw weich wird und sich hilfsbereit zeigt. Die Krimi-Elemente dieses Buchs sind durch dessen Auftragsmörder-Thematik gegeben. Dabei beschreibt die Autorin aber weniger explizite Szenen, sondern würzt den Roman mit ihrem eigenwilligen, so bissigen wie schwarzen Humor.

Im Verlauf des Romans werden unterschiedliche Ereignisse aus Hornclaws Vergangenheit enthüllt, die sich auch auf die Gegenwart auswirken. So baut die Autorin verschiedene Handlungsstränge auf, die schließlich in einem Action-geladenen Finale zusammenlaufen, das mich in seinen Schießereien und Stunteinlagen an die R.E.D.-Filme mit Bruce Willis erinnert hat. Für mich hat dieser Schluss aber nicht so gut mit dem zuvor Erzählten zusammengepasst. Denn der Roman ist bis zu diesem Punkt von seiner ruhigen Erzählweise bestimmt gewesen, so dass dieser mehr tiefergehendes Charakter-Porträt einer ungewöhnlichen Antiheldin und mal tragische, mal lustige soziale Milieustudie gewesen ist.
Leider ist der Roman dann ziemlich plötzlich zu Ende. Dass ich so mit offenen Fragen zurück geblieben bin, die insbesondere das Motiv für diverse Morde betreffen, habe ich als schade empfunden. Durch den nachgeschobenen Epilog hat die Autorin das sonst so offene Ende immerhin ein wenig abgefangen. Dieser Epilog wird von Alltagsszenen dominiert, deren Zusammenhang sich erst nach und nach erschließt. Klare Antworten bleibt die Autorin auch an dieser Stelle schuldig. So hoffe ich, dass dies nicht das letzte Buch von Byeong-mo Gu rund um die Schädlingsbekämpfer der Agentur gewesen sein wird und das vielleicht im nächsten Band noch einige Antworten - gerade im Hinblick auf die Auftraggeber - nachgeliefert werden.