Regt zum Nachdenken an

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"Aus der Entfernung hatten die Deutschen groß gewirkt, aus der Nähe wirkten sie so klein wie ich. Groß waren nur die Kulissen, die Fahnen vor allem. Die deutschen Fahnen waren sehr groß." S. 43

Vermutlich hat mittlerweile jeder, der sich auch nur entfernt für Bücher interessiert, die Debatte um den Roman „Stella“ mitbekommen und weiß daher auch, worum es in diesem Buch geht. Ich möchte es daher erst einmal nur als Roman betrachten.
Was gleich als erstes auffällt, ist die schöne Gestaltung des Covers, das auch eine sehr angenehme Haptik hat. Gleich am Anfang findet sich der Hinweis, dass Teile der Geschichte wahr sind und bestimmt Stellen Zitate eines sowjetischen Militärtribunals sind.
Im ersten Teil des Buchs lernt der Leser den eigentlich Protagonisten – Friedrich – kennen. Der Schweizer hat keine ganz einfache Kindheit und beschließt im Jahr 1942 nach Berlin zum fahren, um die Wahrheit zu finden, wie er selbst sagt. Dort lernt er gleich an seinem ersten Tag Stella kennen, die sich Kristin nennt. Und obwohl er auf der Suche nach der Wahrheit ist, verschließt er wo es nur geht die Augen vor ihr.
Jedes Kapitel wird eingeleitet durch eine kurze geschichtliche Einordnung, mit sehr sachlich beschriebenen Fakten. Unter anderem erfährt man so nach und nach die „Zehn Gebote für jeden Nationalsozialisten“. Für mich hat sich der Roman ausgezeichnet durch die vielen Gegensätze, die er aufzeigt. Auf der einen Seite die Realitäten des Krieges und des Nationalsozialismus – die Diskriminierung und spätere Verfolgung der Juden, Essensknappheit und Bombardierungen. Auf der anderen Seite das Leben von Friedrich und auch der oberen Gesellschaft Deutschlands in dieser Zeit – ausschweifende Feste, Luxus, Fechtübungen. Und dann Stella: Zum einen sieht man die Seite, die sie Friedrich zeigt (und die dementsprechend hauptsächlich der Fantasie des Autors entspringt). Zum anderen die Zitate aus dem sowjetischen Prozess gegen sie, in denen ihre Taten deutlich werden.
Das zeigt für mich vor allem, dass man es sich nie leicht machen sollte, wenn man über diese Zeit und die Menschen, die in ihr gelebt haben, ein Urteil fällt.
Ein paar Abstriche mache ich, weil einige Figuren dann doch etwas klischeehaft ausfallen. Besonders der SS-Mann Tristan van Appen fällt in diese Kategorie und auch die Naivität von Friedrich wird zum Ende hin etwas überstrapaziert. Deswegen gibt es von mir alles in allem 4 von 5 Sternen.

„Ich war ein junger Mann mit Geld und einem Schweizer Pass, der gedacht hatte, in diesem Krieg leben zu können, ohne etwas mit ihm zu tun zu haben. Ich war als Urlauber gekommen. Ich war dumm gewesen.“ S. 135