Eine so wundervolle Familiengeschichte - voller Herz!!

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kascha Avatar

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Georgina Moores Debütroman “Die Garnett Girls” entführt uns auf die Isle of Wight – eine malerische Kulisse, die in diesem Roman weit mehr als nur ein atmosphärischer Hintergrund ist. Es ist ein (teilweise mit Melancholie behafteter) Ort der Erinnerung, des Rückzugs, der familiären Spannungen, aber auch ein glücklicher Ort, der viel Freiheit, Spaß, Party und Spannung in sich birgt. Damit ist die Isle of Wight der perfekte Schauplatz für eine Geschichte, die sich tief in die Komplexität familiärer Bindungen hineinwühlt.
Im Zentrum stehen die drei Garnett-Schwestern Rachel, Imogen und Sasha – sowie ihre Mutter Margo, eine charismatische, lebenshungrige Frau, die sich selbst gerne als frei und unabhängig inszeniert. Doch diese Freiheit kam mit einem teuren Preisschild: Als ihr Ehemann Richard die Familie vor vielen Jahren verließ, entstand ein tiefer Riss, den sie selbst und jede ihrer Töchter auf ihre ganz spezielle Weise seit damals mit sich herumträgt. Der Vater bleibt ein Abwesender, eine Leerstelle, die Raum lässt für Fantasie, Wut und schmerzhaft offene Fragen – und vor allem für lebenslange Spuren im Selbstverständnis der Töchter.
Rachel, die älteste Schwester, ist die Vernünftige, die Starke, die Verantwortliche. Ihr Pflichtbewusstsein wirkt zugleich bewundernswert und tragisch, denn sie versagt sich damit ihren Blick auf eigene Wünsche. Imogen, die Mittlere, ist eine aufstrebende Dramatikerin – eigentlich angekommen im Leben, verlobt mit einem verständnisvollen Mann, doch innerlich zunehmend zerrissen. Ihre bevorstehende Hochzeit wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten findet. Und dann ist da Sasha, die Jüngste, temperamentvoll und impulsiv, gefangen in einer Ehe mit einem Mann, der sie kleinhalten und kontrollieren möchte. Ihre Rebellion brodelt - auf so vielen Ebenen. Was, wenn sie ausbricht?
Was Moore in diesem Roman besonders gut gelingt, ist die tiefenscharfe Zeichnung ihrer Figuren. Alle Charaktere sind glaubwürdig, tragen ihre Widersprüche offen zur Schau, und wirken zu keinem einzigen Zeitpunkt konstruiert. Besonders gelungen ist auch Margo: eine Frau mit Glamour und Ego, eine Matriarchin, eine Mutter, die ebenso faszinierend wie frustrierend ist, weil ihr Versagen an so vielen Stellen zur Schau gestellt wird - jedoch niemals mit einem Fingerzeig auf sie. Moore gelingt das Kunststück, sie nicht zu verdammen – und gleichzeitig ihre Fehler deutlich zu zeigen. Die Konflikte, die sich aus dieser Familienstruktur ergeben, wirken ebenfalls nie künstlich erzeugt, sondern sind das Ergebnis lange gewachsener Dynamiken, unausgesprochener Wahrheiten und familiärer Rollen, die sich nur schwer abstreifen lassen.
Dabei ist “Die Garnett Girls” kein Roman mit dramatischer Hochspannung – eher ein leises, vielschichtiges Porträt einer komplexen Familie und den Einfluss der Vergangenheit auf unsere Gegenwart. Es geht um Prägung, um Erwartungen, um das Bild von Familie, das man nie ganz los wird – selbst wenn man sich aktiv davon lösen will. Die Isle of Wight und das langsam verfallende Anwesen Sandcove wirken dabei wie stille Zeugen dieser Entwicklung. Moore beschreibt diese Orte mit großer Liebe zum Detail, lässt Wind, Meer, Dielen und Holztreppen sprechen – und verleiht damit selbst den Landschaften erzählerisches Gewicht.
Stilistisch ist der Roman angenehm unaufgeregt erzählt, immer mit einem Fokus auf Innenwelten und Beziehungen, ohne dabei langweilig zu werden. In diesen feinen Beobachtungen liegt seine Stärke. Am Ende bleiben wir mit dem Gefühl zurück, ein sehr besonderes Familienporträt gelesen zu haben – eines, das durch seine Authentizität und seine warmherzige, wenn auch kritische Sicht auf Mütter, Töchter und Schwestern punktet. “Die Garnett Girls” ist kein Roman, der laut auf sich aufmerksam macht, aber einer, der unter die Haut geht – besonders für alle, die sich schon einmal gefragt haben, wie sehr uns unsere Herkunft wirklich prägt.