Gedankenspiel - gewaltig und leise zugleich.

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dionyreads Avatar

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"1000 und ich" ist eine recht experimentelle, kurze Geschichte, die ich super schwer zu bewerten finde, weil sie in vielen Dingen genau meinen Geschmack getroffen hat, aber ich dennoch beim Lesen nicht so richtig hooked war.
Mein Guess dazu ist, dass es dem Autor um ein bestimmtes Gedankenspiel ging, um eine interessante Prämisse, die er mittels einer Geschichte untersuchen wollte, diese aber, damit es eine Geschichte wird, mit viel Füllmaterial ausstaffiert hat, das den Lesefluss leider gebremst hat.
Ich will gar nicht zu viel verraten, weil das Lesen zu einer eigenen Odyssee wird und man bis zuletzt nur spekulieren kann, was eigentlich abgeht.
Dabei begegnet man genialen Twists und einem (meinem Lieblings-) Schreibstil, der zwar durch kurze Sätze und wenig Blumigkeit distanziert und kühl wirkt - übrigens sehr passend zum Setting - aber es doch schafft, unglaublich intense und tiefgreifend emotional zu sein. Ich habe mit ChatGPT nach einem konkreten Begriff dafür gesucht und keinen gefunden, aber einen ansatzweise passenden Vergleich, nämlich den von Hemingways Eisberg: Nur ein Bruchteil steht tatsächlich im Buch geschrieben und ist sichtbar, wie die Spitze des Eisbergs. Der gesamte Sinn, die Emotionen, die Lösung des Ganzen liegt unter der Oberfläche.
Ich liebe die Genialität dieses Schreibstils enorm und ich habe deutlich gemerkt, dass der Autor genau dort hin wollte. Leider war es aber einfach etwas zu viel. Vieles hat sich wiederholt, viele Szenen wurden unnötig ausgeschmückt, zweifelsohne, um wenigstens auf ein paar Seiten mehr zu kommen, um es von einem Essay zum Buch werden zu lassen. Schade, aber auch verständlich.
Die Auflösung fand ich am Ende gar nicht mal so unique, wie den Verlauf des Buches. Ob ich wirklich hinter den 4 Sternen stehe, weiß ich gar nicht, es ist - wie gesagt - super schwer. Für philosophisches Einfallsreichtum und angestrebten Schreibstil volle Punktzahl, aber drei Viertel der Geschichte haben sich wirklich unnötig gezogen, leider, sodass mein Leseerlebnis an sich nicht auf 4 Sterne kommen würde. Trotzdem ist es lesenswert! Paradoxes Buch!