Sich ein Bild von damals machen …

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… oder besser noch: eines gemacht zu bekommen. „1177 v. Chr. – Der erste Untergang der Zivilisation“ ist ein erhellendes, verblüffendes, Horizont erweiterndes Sachbuch, ich habe es gelesen, aber nicht die Graphic Novel, sondern das Sachbuch. Deshalb war ich mehr als neugierig, die Graphic Novel zu lesen, denn was am meisten verblüfft an diesem 13. Jahrhundert vor Christus, das sind die Menschen von einst. Nicht dass es sie gab, sondern dass sie Briefe aschrieben, Handel trieben, Rechnungen legten, sich gegenseitig Beine stellten und intrigierten, Epen verfassten und Städte errichteten oder vernichteten. Mich hat es total überrascht, wie komplex die Welt schon gewesen ist, ehe Griechen und Römer die klassische Welt erstehen ließen.

Was das Sachbuch schon anlegte, nämlich ein vielschichtiges Bild der Bronzezeit im östlichen Mittelmeer zu zeichnen, das beweist die Graphic Nobel mit den Zeichnungen von Glynnes Fawkes noch viel besser: Nicht kann ich lesen, was die Frühgeschichtler über die Ägypter, die Hethiter, Minoer und vor allem die mysteriösen, angeblich alles zerstörenden Seevölker herausgebracht haben, sondern ich kann es dank der gelungenen, naiv-dinglichen Bilder von Fawkes auch sehen und mit deutlich besser vorstellen.

Autor und Illustratorin verwenden dabei den Kniff, zwei junge Menschen der Zeit einander die Welt erklären zu lassen, so dass Pels interessierte Fragen und Scheschas kundige Antworten meinen Erkenntnisgewinn behutsam durch das Dickicht der Zeit tragen und anreichern.

Dennoch – auch wenn Bilder oft mehr sagen als tausend Worte – bleibt die Bronzezeit und ihr multikausales Ende um 1177 v. Chr. Extrem komplex. Die Fülle der Orte und Völker, die oft schwer zu merkenden vielsilbigen Personennamen machen es trotz eines bebilderten Indexes am Ende keineswegs leicht, immer auf der Höhe der Darstellung zu sein. Clines durchaus nicht unumstrittene These über den Untergang fast aller bronzezeitlicher Zivilisationen (außer Ägyptens) bleibt selbst in der anschaulich heruntergebrochenen Version als Graphic Novel schwerfällig, komplex und nicht gerade einfach.

Dennoch ist es fantastisch, um wie vieles zugänglicher der Stoff in dieser Darreichungsform ist, insbesondere wenn die Zeichnungen von so eindringlicher, didaktischer Qualität sind wie die von Glynnis Fawkes. Ich war skeptisch, ob ein Sachbuch als Graphic Novel funktionieren kann – und bin restlos überzeugt davon, dass es das kann und sogar manches mehr leistet als ein sperriger wissenschaftlicher Text. Die faszinierende Welt der Bronzezeit hat es durchaus verdient, einem breiteren Publikum nähergebracht zu werden als nur der Handvoll Spezialinteressierter.

Noch ein Pluspunkt: Cline hat die Entwicklungen, die die Diskussion seit der Auflage seines Sachbuches genommen hat, in diese Graphic Novel einfließen lassen, so dass hier ein neuerer Forschungsstand präsentiert wird. Ein Jammer, dass die Wissenschaftliche Buchgesellschaft zu existieren aufgehört hat – solche Experimente dürften sich die wenigsten Verlage trauen.