Bilder des Elends

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marapaya Avatar

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Niklas Natt och Dag ist ein mutiger Autor. Er nimmt es in Kauf, mich als Leser bereits auf seinen ersten gut 140 Seiten von „1794“ zu verprellen. Denn bereits nach den ersten 100 Seiten war ich drauf und dran die Lektüre abzubrechen, weil ich den naiven jungen Ich-Erzähler und die Vorhersehbarkeit seines Schicksals nicht länger begleiten wollte. Da ich Romane aber so ungerne abbreche, habe ich mich durchgekämpft und wurde mit einem Szenen- und Erzählerwechsel belohnt.
Clever gemacht. Das Jahr 1794 ist in vier Teile aufgeteilt und betrifft eine etwas längere Erzählzeit von ca. 18 Monaten, schließt man die Vorab-Handlung um den jungen naiven Drei Rosen mit ein. Der Roman ist gut durchkomponiert und alle vier Handlungsabschnitte bilden eine wichtige Rolle, um das große Ganze zu verstehen. Denn auch das Verbrechen ist groß, ja geradezu monströs angelegt und kann nicht ohne schmerzliche Opfer aufgedeckt bzw. gestoppt werden. Die Figurenwelt ist ein Reigen an gescheiterten, vom Schicksal gebeutelten Charakteren. Kein strahlender Held eilt zur Rettung der Ungerechtigkeit daher, vielmehr stolpern Mikael Cardell und Emil Winge hinein in diese Geschichte, die eigentlich zu groß für sie ist. Dem finsteren Abgrund im seelenlosen Urheber des Leids haben sie wenig entgegenzusetzen, zu abgesichert ist der schlaue Fiesling in der Stockholmer Adelswelt. Die internen Machtkämpfe am schwedischen Königshof bringen zudem Stockholm immer mehr ins Schlingern, Korruption und Willkür, Hunger und Not gehören zum Alltag. Jeder ist sich selbst der Nächste, Mitleid und Tugend fehl am Platz. Es ist eine Kakophonie des Elends, die der Autor aufmacht, der Missklang springt einem aus jeder Zeile entgegen. Und dennoch kann man sich seiner Erzählgewalt kaum entziehen. Entgegen klassischer Krimis geht es nicht allein darum, ein Verbrechen aufzuklären und den Täter dingfest zu machen. Niklas Natt och Dag schildert eine Zeit voller Hoffnungslosigkeit und Desillusion. Selbst wenn du dich unter Entbehrungen aus dem schlammigsten Dreck empor gekämpft hast und es aufwärts geht, kann jederzeit ein Stolperstein für dich bereit liegen, der dich sang- und klanglos zurück ins Elend befördert. Ein schwedischer Abgesang auf die Stadt als ein Moloch, du kannst ihr und den Menschen in ihr nicht entkommen.