Ein differenziertes Buch, halb Sachbuch, halb Reisebericht

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klaus_bücherfan Avatar

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Mit dem Wunsch, dem westlich geprägten Patriarchat zu entkommen, reist die Autorin Friederike Oertel für drei Monate nach Juchitán in Mexiko – einem Ort, der für seine matriarchalischen Strukturen bekannt ist. Was sie dort erlebt, beschreibt sie in einem Werk, das sich zwischen Reisebericht, Sachbuch, Essay und autobiografischer Selbstreflexion bewegt.
Oertel lässt sich auf das Leben vor Ort ein, beobachtet genau und reflektiert immer wieder, was ihr begegnet – im Außen wie im Innen. Sie beschreibt Juchitán lebendig und bildreich und versucht zu verstehen, ob und wie sich gesellschaftliche Rollenbilder in dieser anders strukturierten Kultur von Deutschland unterscheiden.
Doch je tiefer sie eintaucht, desto klarer wird: Auch in vermeintlich matriarchalen Strukturen existieren patriarchalische Prägungen. Machtverhältnisse und übergriffiges Verhalten von Männern begegnen ihr auch dort – ein durchaus ernüchternder Befund, der deutlich macht, wie tief verwurzelt bestimmte Muster offenbar weltweit sind.
Für mich war das Buch durchaus interessant – insbesondere durch seine vielen theoretischen Bezüge und Denkanstöße (sei es zur Erziehung von Mädchen, zum Bild der Jungfrau, Hexen usw.). Es bietet gute Anlässe zur Selbstreflexion, auch du gerade für männliche Leser, etwa was Rollenbilder und Verhaltensweisen betrifft. Dennoch hat es meine Erwartungen nicht ganz erfüllt. Ich hatte mir etwas mehr über das konkrete Miteinander im Alltag Juchitáns erhofft, und weniger Selbstbeobachtung der Autorin. Der Titel weckt vielleicht eine größere Erwartung an alternative gesellschaftliche Strukturen, als das Buch letztlich einlösen kann.
Besonders gelungen finde ich das Titelbild des Buches: Mit seinen exotischen Blumen, Tieren und Früchten weckt es Fernweh und symbolisiert den Aufbruch in eine andere Welt – ein starker visueller Einstieg in das Thema.
Mein Fazit: Ein lesenswertes, kluges Buch über die Suche nach anderen Lebensentwürfen – ehrlich, reflektiert und mit kritischem Blick. Es zeigt, dass der Weg aus patriarchalen Mustern kein Ortswechsel allein ist, sondern ein tiefgehender Prozess – individuell wie gesellschaftlich.