Feministischer Reisejournalismus - Eine Empfehlung

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schrelwq Avatar

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Friederike Oertels Buch "Urlaub vom Patriarchat" hat mich auf mehreren Ebenen angesprochen. Zum einen, weil ich im selben Alter bin wie die Autorin und viele ihrer Gedanken und Fragen zur Lebenssituation von Frauen heute gut nachvollziehen konnte. Zum anderen, weil mich die Idee eines Matriarchats schon länger interessiert – allerdings eher theoretisch und ohne, dass ich mich bisher wirklich damit beschäftigt hätte. Das hat sich durch dieses Buch geändert.

Bücker beschreibt in einem sehr zugänglichen Stil, wie sie sich auf die Suche nach matriarchalen Gesellschaften macht und reist dafür nach Mexiko. Besonders diese Passagen fand ich spannend. Ihre Eindrücke aus dem Alltag der dort lebenden Frauen und ihre Beobachtungen über die sozialen Strukturen sind interessant, gerade weil sie dabei immer wieder ihre eigene Perspektive hinterfragt. Sie ist sich bewusst, dass sie mit einer europäischen Brille auf diese Lebensweise blickt – und benennt das auch offen. Das fand ich sympathisch und wichtig, weil es oft unterschätzt wird, wie stark die eigene kulturelle Prägung die Wahrnehmung beeinflusst.

Auch wenn die Autorin einen durchaus kritischen Blick mitbringt, bleibt das Bild, das sie von matriarchalen Lebensformen zeichnet, keineswegs verklärt oder romantisierend. Es wird deutlich, dass auch dort nicht alles ideal ist – was mir nochmal gezeigt hat, wie komplex das Thema ist und dass es nicht die eine einfache Alternative zum Patriarchat gibt. Trotzdem war es anregend, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie Gesellschaft auch anders organisiert sein könnte.

Die theoretischen Abschnitte, in denen sie feministische Grundbegriffe, Debatten oder Konzepte erklärt, waren für mich persönlich nicht neu. Ich habe mich mit diesen Themen schon häufiger beschäftigt. Aber sie sind gut geschrieben und können für Menschen, die neu in das Thema einsteigen, sicherlich hilfreich sein. Das Buch eignet sich also auch für Leser*innen, die sich zum ersten Mal intensiver mit feministischen Fragen auseinandersetzen möchten.

Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen. Es ist kein akademischer Text, sondern eher eine Mischung aus persönlicher Reflexion, Reisebericht und politischer Bestandsaufnahme. Gerade diese Kombination hat für mich funktioniert. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, eine kluge, nachdenkliche und gleichzeitig nahbare Gesprächspartnerin vor mir zu haben. Das Buch hat bei mir auch Lust auf mehr ausgelöst - sowohl was das Thema Matriarchat betrifft als auch in Bezug auf Mexiko selbst. Ich hatte danach tatsächlich ein bisschen Fernweh.

"Urlaub vom Patriarchat" ist kein Buch, das fertige Antworten liefert. Es stellt eher Fragen – auf eine ehrliche und reflektierte Weise. Für alle, die sich für Feminismus, gesellschaftliche Alternativen und das Thema Gleichberechtigung interessieren, kann ich es empfehlen. Von mir gibt es vier von fünf Sternen.