Zwischen Utopie und Realität: Eine Reise zu den Wurzeln des Frauseins

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kati_lx Avatar

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Was passiert, wenn man dem Patriarchat eine Pause gönnt? Diese Frage stellt sich Friederike Oertel – ermüdet vom westlichen Alltag, geprägt von strukturellem Sexismus und gesellschaftlichen Rollenerwartungen – und reist in ein noch existierendes Matriarchat: nach Juchitán in Mexiko. Was zunächst wie Fiktion klingt, entpuppt sich als realer, faszinierender Schauplatz, der oft als „Stadt der Frauen“ bezeichnet wird. Frauen bestimmen dort wirtschaftlich und familiär, Besitz wird von Mutter zu Tochter vererbt, und Muxe – Menschen eines dritten Geschlechts – sind fester Bestandteil der Gesellschaft.
Oertel nimmt uns mit in diese für viele von uns fremde Welt – mit wachem Blick, sprachlich lebendig und immer wieder auch selbstkritisch. Ihr Buch ist keine leichte Lektüre, sondern eher eine tiefgründige Reportage, die sich zwischen Beobachtung und persönlicher Reflexion bewegt. Besonders beeindruckend ist der respektvolle Umgang mit kulturellen Unterschieden. Statt einfache Antworten zu liefern, zeigt sie die Vielschichtigkeit des Frauseins – auch dort, wo scheinbar andere Regeln gelten.
Thematisch ist das Buch ein echter Gewinn: Es geht um Emanzipation, Gleichstellung, Identität, Sichtbarkeit – und das nicht nur theoretisch. Oertel verbindet ihre persönlichen Erfahrungen vor Ort mit struktureller Analyse und gut recherchiertem Hintergrundwissen. Zahlreiche Quellen, die im Anhang gelistet sind, machen das Buch auch zu einer spannenden Grundlage für alle, die tiefer in das Thema eintauchen wollen. Ich selbst habe unglaublich viel Neues gelernt – besonders die Perspektive auf das dritte Geschlecht hat mich nachhaltig beschäftigt.
Was mir weniger gut gefallen hat, war der mitunter sehr dichte Stil. Manche Passagen wirken überladen, fast intellektuell verkopft – was sicherlich auch mit dem Anspruch des Buches zusammenhängt, gleichzeitig persönlich, politisch und analytisch zu sein. An einigen Stellen hätte ich mir mehr Raum für Emotion gewünscht, mehr Einblick in die Innenwelt der Autorin.
Nicht unerwähnt bleiben darf das wunderschöne Cover, das mich sofort angesprochen hat. Es erinnert an Frida Kahlo – nicht nur optisch, sondern auch thematisch: stark, komplex, bunt, widersprüchlich. Kahlo selbst findet übrigens auch ihren Platz im Buch – und das völlig zu Recht.