Epischer Klotz

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lihemann Avatar

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Mit seinen über 600 Seiten ist '60 Kilo Kinnhaken' von Hallgrimur Helgason ein echter Klotz. Die Gestaltung des Covers gefällt mir wegen der Kombination aus reduzierter Farbwahl und dramatischem Motiv, ein Hingucker!

Direkt zu Beginn des Romans spielt der Autor auf der Klaviatur der Stilmittel. Er ignoriert die Grenzen zwischen Erzähler und Autor, wandelt mühelos zwischen den Ebenen und führt den Leser in einer Art Heranflug zum Ort das Geschehens. Das mag für Literaturwissenschaftler durchaus amüsant sein, ist aber auch anstrengend zu lesen - der Roman ist insgesamt gewiss keine leichte Urlaubslektüre! Auch die anachronistischen Vergleiche lassen zunächst den Lesefluss stocken und entlocken dem Leser dann aber ein Schmunzeln.

Gestur, der Held - oder Antiheld - des Romans ist ein traumatisierter Waise, den wir bereits im Vorgängerroman '60 Kilo Sonnenschein' kennengelernt haben. In einem wahren Eldorado im Heringsfang hat sich der fiktive Ort Segulfjördur in rasender Eile in eine kleine Stadt mit bis zu 2000 Einwohnern während der Fangsaison verwandelt. Nach den fetten Jahren in denen er beim Heringsfang ausreichend verdient hat um seine kleine Ersatzfamilie gut zu ernähren, ist Gesturs Einkommen in dieser Saison deutlich geringer ausgefallen. Er schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch und lässt sich im Geschehen treiben, unentschlossen wägt er Zukunftsoptionen ab, träumt von Veränderungen, und entscheidet sich dann doch stets für den Weg des geringsten Widerstands.
Nicht nur Gestur, sondern der gesamte Ort sieht den Kinnhaken des Schicksals nicht kommen...

Der Roman ist nicht nur episch lang, auch die Erzählweise ist streckenweise mühselig in die Länge gezogen. Das Buch ist kein kurzweiliger Schmöker, sondern eher für das gemächliche Lesevergnügen an dunklen Herbstabenden geeignet.