Machtkämpfe an allen Ecken und Enden

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lena.br Avatar

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Hinter den verschlossenen Türen der NGO "Interni" ist einiges los. Kriminelle Machenschaften gehören hier zum Alltag, die Bedeutung des Sprichworts "Geld regiert die Welt" wird in einem neuen Massstab nur zu deutlich und mehr als einer hat hier definitiv Dreck am Stecken. Was alle vermuten wird offensichtlich, als der Kopf eines Mitarbeiters in einer Plastiktüte vor dem Büro gefunden wird.

Wellinghofen fürchtet um seinen guten Ruf und schleust deswegen seine Frau für alle Fälle, die sich in diesem Fall Eve Klein nennen wird in die Hauptquartiere der NGO ein. Dort soll Eve auch herausfinden, wie es um den angeblichen Selbstmord des Geschäftsführers bestellt ist. In der Welt der Superreichen, in der sich Eve fortan bewegt liegen Gier, Macht und organisierte Verbrechen nur fingerbreit auseinander.

Sybille Ruges "9mm Cut" lässt mich ein wenig zwiegespalten zurück. Mit Eve Klein begleiten wir als Leserinnen und Leser eine knallharte Protagonistin, die definitiv mit allen Wassern gewaschen ist und immer ein Ass im Ärmel hat. Diese Powerfrau und allgemein die Ausarbeitung der Figuren ist mit ein Grund, weshalb ich dieses Buch sehr gelungen finde. In "9mm Cut" treffen einzigartige Charaktere aufeinander, die sicherlich an einigen Stellen stereotypisiert und überspitzt dargestellt sind, zwischen denen sich aber ein Spannungsfeld bildet, das an Potential kaum zu überbieten ist. Der überforderte Max Karnofsky, dem mit seinem Hang zur Sentimentalität und zum Alkohol die Dinge schneller über den Kopf steigen als er begreifen kann und seine unterkühlte und blasierte Ehefrau Helena, die zwischen Schönheitsoperationen und verkrampften Körperhaltungen kaum mehr Zeit für Sinnlichkeit hat, sind hier nur zwei Beispiele von vielen Protagonisten, die ausreichend Spielraum für Interpretation bieten.

Keine Frage, die Autorin beherrscht ihr Handwerk. Die Dialoge sind raffiniert und lassen einem als Leserin oder Leser kaum mehr Luft zum Atmen vor lauter Schlagfertigkeit (im positiven Sinne!) Der grandiose Schreibstil ist sicher auch der Grund, weshalb ich durch "9mm Cut" in zwei Tagen durchgeflogen bin und das Buch kaum mehr zur Seite legen wollte.

Was mich allerdings doch ein wenig enttäuscht hat, ist die Ausarbeitung der Handlung. Die Ausgangslage ist brisant und der ideale Startpunkt für einen geladenen Krimi, daraus macht die Autorin meiner Meinung nach dann doch etwas zu wenig. In den Tagen in denen Eve die Einblicke in die NGO bekommt passiert eigentlich doch relativ wenig, wenn auch die tollen Dialoge und messerscharf beschriebenen Szenen davon ablenken können. Die Geschichte an sich bleibt aber bis zum Schluss relativ dünn, die Handlungen der Figuren bleiben leider auch grösstenteils unmotiviert, unnahbar und undurchsichtig.

Wegen des tollen Schreibstils und dem eindeutigen Lesevergnügen empfehle ich "9mm Cut" dennoch auf jeden Fall weiter. Wer aber hier einen typischen Krimi mit vielen Drehungen und Wendungen erwartet, ist an der falschen Adresse.