Save the last dance

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
marapaya Avatar

Von

In den erdachten Welten von Fantasy und Science Fiction ist der Bezug zur aktuellen Wirklichkeit entweder so überspitzt mit beseelter Technik und skrupelloser Politik verfremdet oder ganz weit zurück in die Vergangenheit versetzt und von antiken Märchen- und Mythengestalten bevölkert. Manchmal kann man so tief eintauchen, dass man an die eigene Realität gar nicht denken muss und manchmal setzt man seine eigene aktuelle Stimmungslage ständig mit der Fiktion in Bezug. Bei Brittney Arenas „A Dance of Lies“ ist bei mir letzteres der Fall gewesen. Vielleicht lag es an meinem vom Instagram-Algorithmus gefärbten feministischen Blick oder an den Anregungen aus der Leserunde, an der ich mit dem Buch teilgenommen hatte, jedenfalls lese ich aus der Geschichte eine ziemlich deutliche Abrechnung mit dem Patriarchat heraus. Kann auch sein, dass ich das total falsch interpretiere, aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dass das von der Autorin erdachte Setting der Blick zurück auf „die gute alte Zeit“ ist, in der wenige Männer als Könige über ihr Volk mit Willkür und Gewalt herrschen und Frauen wenig bis gar nichts zu sagen haben.
Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die seit frühester Jugend auf sich allein gestellt, als Tänzerin im Königreich von Westmiridran die Gunst von König Illian gewinnen konnte und sein Kleinod wurde. Doch diese Gunst war ihr nicht lange gegönnt. Sie wurde des Mordes beschuldigt und in den Kerker gesteckt. Nach über zwei Jahren erinnert sich der König nun plötzlich wieder an sie und stellt ihr eine Aufgabe, die eigentlich nicht zu bewältigen ist, denn die Zeit im Kerker haben nachhaltige Spuren an Vasalies Körper hinterlassen und Illian will sie auf der Zusammenkunft der Kronen als Tänzerin und Spionin einschleusen, um seine Macht zu sichern. Der jungen Frau verspricht er dafür die Freiheit.
Aus der Ich-Perspektive erleben wir Vasalies langsame und mühevolle Rückkehr ins Leben, gespickt mit Erinnerungen an ihr früheres Leben und ihren Hintergrund. Die Welt, die sich Brittney Arena erdachte, erinnert an die Zeit der Märchen aus den Gebrüder Grimm. Fünf große Reiche sind im Kronenbund vereint, autokratisch regiert und immer nur eine Handbreit vom nächsten Krieg entfernt. Einmal im Jahr kommen die Herrscher aller Reiche zusammen und festigen den Kronenbund bis zum nächsten Jahr – zumindest war das bisher immer der Fall. Das Reich Miridran ist vom König unter seinen drei Söhnen aufgeteilt worden und Vasalie gerät als Spielball mitten hinein in eine Welt der Lügen und Intrigen, in der es vor allem um Machtgewinn und Unterdrückung geht.
Arenas Figurengestaltung ist nicht völlig frei von Stereotypen, doch sie spielt auch mit den Klischees und den Erwartungen ihrer Leserinnen, was mich gut unterhalten hat. Aus ihrer männlich dominierten Herrscherwelt und der Außenseiterrolle der einzigen weiblichen Herrscherfigur lese ich eben jene Kritik am Patriarchat und der Warnung vor autokratisch geführten Ländern heraus. Die Frau hat wenig Rechte in diesen Reichen. Sie sind entweder ihren Vätern oder Ehemännern unterstellt und dann natürlich auf die Gnade des Herrschers angewiesen. Ohne männlichen Beschützer sind die Frauen für andere Männer nahezu Freiwild. Allein können sie sich maximal als Dienstmagd oder einschlägig weiblichen Berufen wie Schneiderin oder Köchin, Tänzerin, Schauspielerin oder Hure durchschlagen, in einigen Fällen auch in den Militärdienst eintreten. Doch auch in all diesen Fällen hat der Herrscher das letzte Wort über sie. Wie in den Märchen, die ich als Kind verschlungen habe, befällt mich bei Arenas Setting dieser leichte Grusel und die Erleichterung, dass wir nicht mehr in dieser Welt leben, sondern als Frauen ein größeres Maß an Selbstbestimmung erleben. Vasalie versucht zwar den ihr vorbestimmtem Weg zu entfliehen und scheitert doch krachend an den Verhältnissen. Selbstbestimmung ist für sie nur ein Trugschluss, sie erkennt sich als Spielball, als Schachfigur wieder und findet keinen befriedigenden Ausweg aus dieser Situation. Auch die Autorin muss sich am Ende der Magie bedienen, ganz wie im Märchen. Ich bin gespannt, welchen Weg sie im zweiten Teil beschreiten wird.