Eintauchen in ein raffiniertes Jugendbuch voller Magie

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piecewartenoch Avatar

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Effy möchte zwar lieber Literatur studieren, muss sich aber mit Architektur begnügen. Dadurch erfährt sie aber von einem Ausschreiben für das Fertigen neuer Baupläne für das Anwesen des jüngst verstorbenen, gefeierten und von Effy verehrten Autoren Emrys Myrddin – die Chance Einblick in das Leben ihres Idols zu bekommen und der einengenden Universität zu entfliegen. Dort angekommen muss Effy aber feststellen, dass nicht alles so ist wie es scheint. Gemeinsam mit dem Literaturstudenten Preston begibt sie sich auf eine mysteriöse Spurensuche, die für alle schwere Folgen haben könnte.
„A Study in Drowning“ von Ava Reid war eine positive Überraschung. Nach anfänglicher Skepsis nahm die Geschichte mehr und mehr Gestalt an und verzauberte mich zunehmend. Als einzige Schwachstelle des Buches möchte ich die Protagonistin als auch die Liebesgeschichte nennen: Mit Effy wurde ich lange Zeit nicht warm und auch die Liebesgeschichte ließ mich überwiegend kalt. Diese fühlt sich eher wie ein nachträglicher Gedanke an, im Sinne von: Oh, das ist ja ein Jugendbuch mit einer weiblichen und einer männlichen Hauptfigur; da muss noch eine Liebesgeschichte hinzu, logisch. Es wirkt etwas zu konstruiert und erzwungen.
Jedoch schmälert dies kaum die vielen Aspekte, die dieses Buch in meinen Augen absolut genial machen. Zunächst einmal der umwerfende, ausgefeilte Schreibstil der Autorin, als auch Ava Reids Vermögen eine stimmungsvolle, passende Atmosphäre mit ihren kreativen Worten zu zaubern.
Desweiteren ist ihre Geschichte ein stetes Zwielicht aus Realität und Fantasie, die Frage, was echt ist, was der Fantasie der Figur entspringt, inwiefern man der Wahrnehmung der Figur Glauben schenken kann. Dadurch greift Reid auf raffinierte Weise das Infragestellen der Aussagen von Opfern in beispielsweise Sexualdelikten auf. Doch nicht nur durch den gelegentlichen Sexismus in der Geschichte, sondern auch auf Ebene der Literatur sowie dem Umgang mit ihr zieht die Autorin Bezüge zu unseren Gegenwart. Beobachte man Effys sich verändernde parasoziale Beziehung zum Schriftsteller Myrddin, ihr anfängliches Gatekeeping, aber auch generell die Frage nach Urheberschaft. Ob dies ein Metakommentar Reids zu unserem eigenen Verhältnis zu Literatur, Autor:innen und Autorenschaft, als auch der Buchcommunity ist? Man kann es so interpretieren und diese Gedanken weiterspinnen.
Dieses Zwielicht wird aber nicht nur durch Effys zunächst labil wirkende Figur, sondern in der wiederholten Gegenüberstellung der allgemeinen Abergläubigkeit des Südens mit den Mythen und Legenden über den Elfenkönig und der nüchtern-logischen wissenschaftlichen Arbeit Prestons als Art Stellvertreter der akademischen Elite erzeugt. Somit befinden sich Lesende lange Zeit in einer spannungsvollen Schwebe zwischen Fantasie und Realität, die die Sogwirkung der Geschichte und des Mythos um den fiktiven Bestsellers ‚Angharad‘ nur verstärkt.
Dabei arbeitet Reid unterschiedlichste Themen und Motive tiefgründig in die Geschichte ein, sodass man als Leser:in Lust bekommt, den Text literarisch zu analysieren und sich auszutauschen. Eine dafür erforderliche Komplexität steckt definitiv in diesem fantastischen Buch, wie sie heutzutage leider nicht mehr allzu viele Jugendbücher besitzen. Es regt zum Nachdenken an, inspiriert und lädt zum Reden ein.
Dafür wird es aber teilweise sehr düster, sodass darauf geachtet werden sollte, es nicht in zu junge Hände zu geben.
„A Study in Drowning“ ist eine klug geschriebene, atmosphärische Geschichte mit interessantem World Building und geheimnisvollen Figuren. Doch vor allem ist Ava Reid eine Meisterin der Spannung, sodass man bis zur letzten Seite am Papier klebt und sich diese fantasievolle, schlaue Lektüre nicht entgegenlassen möchte.