Fesselnd, rasant, Abgeschlagen!

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Paul Herzfeld ist zurück – Was war das für eine tolle Nachricht! Ich habe „Abgeschnitten“ so geliebt. Es war klar, dass ich unbedingt das neue Buch lesen wollte. Hier schreibt Michael Tsokos zwar ohne Unterstützung von Sebastian Fitzek, aber er beweist eindrucksvoll, dass er auch ohne ihn spannende Bücher schreiben kann. Wie erwartet, ist hier also ein höherer True Crime-Aspekt eingeflossen, der mir jedoch sehr zugesagt hat.

Ganz ohne Einschlag von Sebastian Fitzek kam Tsokos dann übrigens doch nicht aus. Fitzeks Kinderbuch „Pupsi und Stinki“ hat einen kleinen Chameo-Auftritt in „Abgeschlagen“. Das fand ich ganz neckisch und sicher hat sich auch der Co-Autor von „Abgeschnitten“ darüber gefreut. Außerdem fand ich es recht amüsant als sich Michael Tsokos mit folgendem Satz selbst aufs Korn nahm: „Tomforde schüttelte den Kopf. `Wir sind doch hier nicht in einem Thriller. Das ist mir viel zu konstruiert.`“

Nun aber Fangirl-Modus aus und ab zum Inhalt: Bereits die ersten Seiten des Buchs schlugen ein wie ein Feuerwerk – wow! Eine Spannung, eine Atmosphäre, die man beinahe schmecken konnte. Ich glaube, mein Blutdruck ist direkt nach wenigen Zeilen in die Höhe geschossen.
Nach dem fulminanten Prolog teilt sich das Buch in drei Teile auf. Teil Eins spielt 3,5 Jahre zuvor. Teil Zwei und Drei zur Zeit des Prologs. Auch Teil Eins, der recht kurz war, hat mir den Atem geraubt. Wie bei einem Rechtsmediziner zu erwarten, schreibt Tsokos sehr detailverliebt über Oduktionen, Verletzungen und dergleichen. Das wurde mir direkt im ersten Abschnitt des Buchs wieder bewusst. Ich war dann doch froh, noch nicht gefrühstückt zu haben. Zartbesaitete sollten das beim Lesen vielleicht auch bedenken.
Je weiter die Geschichte dann voranschritt, umso kürzer und knackiger wurden die Kapitel, die uns Tsokos präsentierte. Das hat die Spannung toll vorangetrieben und mich echt durch die Seiten fliegen lassen. Ich kam mir vor wie in einem Actionfilm. Vor jedem Kapitel findet der Leser Datum, Zeit und Ortsangaben – aufgrund der häufigen Schauplatzwechsel und der immer kürzer werdenden Kapitel, empfand ich dies als sehr hilfreich, um gut in der Geschichte zu bleiben. Tsokos lässt den Leser/die Leserin durch kursiv dargestellte Abschnitte auch an den Gedanken seiner Figuren teilhaben. Dadurch konnte ich mich sehr gut in die jeweilige Person denken und mit ihr fühlen. Gegen Ende des Buchs gab es außerdem viel mehr Dialoge als zu Beginn. Das hat das Buch und vorallem das große Finale sehr lebendig gemacht. Auch die Sprache und bildlichen Beschreibungen, die Tsokos immer wieder einbaute, waren gut gewählt:
„In seinem Körper sammelten sich immer mehr kleine Angstpartikel, die sich in seinem Magen zu einem Stein aus Furcht zusammenballten.“

Die Charaktere gefielen mir. Herzfeld mochte ich bereits in „Abgeschnitten“ total gern. Seit ich den Film gesehen habe, stelle ich ihn mir übrigens wirklich als Moritz Bleibtreu vor.
Paul Herzfeld ist ehrlich, leidenschaftlich, auch mal aufbrausend, liebender Familienvater, besitzt hohe Moralvorstellungen und unheimlich viel Kompetenz im Bereich der Rechtsmedizin. Er ist auch mit Abstand die Figur, die am meisten Tiefe im Buch bekommen hat.
Der Polizist Tomforde gefiel mir ebenfalls gut. In einigen Punkten waren sich Herzfeld und er sehr ähnlich. In anderen Punkten ticken sie vollkommen unterschiedlich. Das liegt vermutlich an den geleisteten Dienstjahren, die Tomforde schon hinter sich hat. Bei manchen Dingen stumpft man ab und möchte einfach schnell zur Lösung kommen.
Volker Schneider wurde auch tiefer gezeichnet. Er ist mir direkt unsympathisch gewesen – was sicher von Tsokos auch so gewollt war. Ein richtig arrogantes Ekelpaket mit dem Hang zur Selbstüberschätzung. Ach was sag ich: Selbstverherrlichung trifft es wohl eher. Der Typ Chef, den man nie und nimmer haben möchte. Der Typ Mensch, dem man nie begegnen will.
Hausmeister Hansen, der alte Seebär, gefiel mir auch richtig gut. Wie bereits in „Abgeschnitten“ kommt auch hier dem Hausmeister wieder eine besondere Rolle zu. Mehr kann ich jedoch nicht verraten.
Viele der anderen Figuren, z.B. Petra Schirmherr, Lucia Tattoli, Margret Schalck usw., blieben für mich eher blass. Das störte mich ehrlich gesagt aber kein bisschen.

Toll fand ich übrigens, dass das Buch im Norden spielte und ich einige Orte wieder erkannt habe: Eckernförde, die Schleibrücke, die Mühle in Kappeln. All dies ist mir aus den letzten Sommerurlauben vertraut und wurde vom Autor sehr schön beschrieben und unaufdringlich in Szene gesetzt.

Der Plot von „Abgeschlagen“ gefiel mir ausgesprochen gut, wenn ich auch recht schnell das richtige Bauchgefühl bezüglich des Ausgangs hatte. (Natürlich nicht in allen Einzelheiten und in der Komplexität wie von Tsokos dargestellt. Aber die Intention war da.) Einen kleinen Abzug gebe ich dafür, dass nicht alle Aspekte der Handlung am Ende des Buchs abschließend für mich geklärt waren – z.B. geht es hier um einen Anruf von Margret Schalck. Auch passten gewisse „Fehler“ nicht zu der sonst so korrekten Art mancher Figuren. Aber dies sei dem Autor verziehen, da „Abgeschlagen“ sonst wohl recht schnell geendet hätte.

Das Ende als solches war wider Erwarten nicht komplett abgeschlossen. Im Nachwort erfuhr ich dann, dass es mit Paul Herzfeld weitergehen wird. Das freut mich persönlich sehr. Und alle, die mich kennen, wissen, dass ich normalerweise kein Fan von Reihen bin. Ich vermute, dass es aufgrund des leicht offenen Ausgangs wohl zu einem Wiedersehen mit der einen oder anderen Figur kommen wird und bin jetzt schon wieder sehr gespannt darauf. Ich empfehle das Buch allen Fans von „Abgeschnitten“, Michael Tsokos und True Crime-Thrillern sowie all jenen, die es werden möchten. Ein fesselndes Buch mit rasantem Tempo.