Gelungener Fall mit sprechenden Details

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singstar72 Avatar

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Das Genre „True Crime“ habe ich erst seit relativ kurzer Zeit für mich entdeckt. Es herrscht eine ziemlich große Freiheit, wie man es auslegt – die Qualität reicht von einem Ferdinand von Schirach – mit deutlich literarischem Anspruch – einerseits bis hin zu einem Mark Benecke andererseits, der nur Fakten und Fälle referiert – allerdings „lesbar“ aufbereitet, und sichtlich vom eigenen Berufsethos getragen. Von Michael Tsokos hatte ich bislang noch nichts gelesen, hätte ihn aber instinktiv irgendwo in der Mitte verortet. Und damit lag ich auch nicht ganz falsch!

Was ist nun ein „True Crime – Thriller“? Nun, in diesem Falle ist es eine ziemlich gut geratene Mischung! Ich hatte ein hastig zusammengeschustertes Kriminalkonstrukt befürchtet, überladen mit Anklängen an echte Fälle, die irgendwie daran aufgehängt werden. Doch nein! Herausgekommen ist eine wirklich spannende Geschichte, durchdacht von vorne bis hinten.

Ein Fall, der es in sich hat. Der mit einem rätselhaften Prolog beginnt, garstig und mit vielen Leerstellen – ganz wie es die Profis der Thriller-Autoren machen. Dann ein Plot, der mit interessanten Figuren bestückt ist – mit gerade so viel Hintergrund, dass es nicht aufdringlich wirkte. Fernsehteams, welche die Rechtsmedizin besuchen – eine köstliche Szene! Interne Querelen. Assistenten, die schon mal ein wenig spleenig sind. Eine Gastprofessorin aus Italien. Schwierige Abstimmungen mit der Polizeiarbeit. Wirklich, das „Rundherum“ hat mir sehr gefallen!

Die Handlung an sich hat mich nichts von einem „echten“ Thriller vermissen lassen. Im ersten Drittel eher gemächlich – die Vorgeschichte baut sich auf. Ein irrer Täter wird gefasst. Kommt aber nach einigen Jahren wieder frei! Und scheinbar, aber eben nur scheinbar, geht alles von vorne los…
Es ist dem professionellen Ehrgeiz des Protagonisten Paul Herzfeld ( und der absolut köstlichen Nebenfigur des Hausmeisters Hansen! ) zu verdanken, dass Verdacht geschöpft und weiter ermittelt wird.

Im letzten Drittel gibt es einen klassischen Showdown, der mir persönlich sogar beinahe ein wenig zu hektisch getaktet ist. Aber alles ist da: die Zeit, die für ein Opfer abläuft. Der Protagonist, der es retten soll. Ein Irrer, der ihn herumkommandiert. Und auch noch ein Schneesturm, der alles noch viel schwieriger macht. Wirklich beachtlich!

Insgesamt betrachtet, möchte ich aber doch einen Stern abziehen. Das liegt an manchen Kleinigkeiten, die es aber in der Summe für mich etwas „unrund“ machen. Zum einen die Kürze der Kapitel – oft nur eine oder eineinhalb Seiten lang. Dennoch immer wieder mit Datum, Uhrzeit und Ort versehen. Das finde ich für ein e-book (was ich ja hatte!) ungünstig; das hat mich beim Lesen manchmal gestresst. Weil es beim e-book eben nicht so leicht ist, vor- oder zurück zu blättern, um zu sehen, ob man noch den selben Tag hat, und sich nicht in der Handlung verirrt.

Zweitens, ein klein wenig könnte der Autor noch an seinem Stil feilen. Wie oft das Wort „regelrecht“ gefallen ist, habe ich vergessen zu zählen – es war aber schon auffällig. Zwischendurch gab es auch immer wieder Ausdrücke, die mir zu flapsig waren, bei denen ich leicht die Stirne gerunzelt habe. Und im Showdown war der Böse einfach teilweise „zu böse“ und der Gute „zu gut“ beschrieben. Das hangelte sich haarscharf am Rand der Platitüde entlang.

Die verbliebenen vier Sterne verleihe ich jedoch gerne! Hier merkt man, dass der Autor für seinen (Haupt-)Beruf lebt. Er schildert alle Fälle, auch die skurrilsten, mit Takt und Sinn fürs Detail. Ohne dass es reißerisch wirkt. Und er hat ein Händchen für Spannunsabläufe, das muss man wirklich sagen. Ich werde die Fortsetzung (die kurioserweise schon vorher erschienen ist) wirklich gerne lesen!