Paul Herzfeld über die Schulter geschaut

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philipp.elph Avatar

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Ein Paul-Herzfeld-Thriller, basierend „auf echten Fällen, authentischen Ermittlungen“. Ein Prequel zu „Abgeschnitten“ von Tsokos und Fitzek.

Diesen Thriller lesen ist, wie dabei zu sein, wenn Paul Herzfeld, zu dieser Zeit Assistenzarzt am Kieler Institut für Rechtsmedizin, den Zustand einer Leiche beschreibt oder eine Obduktion durchführt.

In über 100 Kapiteln nähert sich die Handlung dem zunächst rätselhaften Prolog. Handlungsstränge, die anfangs scheinbar ohne einen Zusammenhang erzählt werden, kommen an unterschiedlichen Stellen zusammen und ergeben ein Ganzes.

Anfangs ist da der „Flügelmacher“ aktiv, der mit einer Machete versucht, einer Prostituierten die Arme abzutrennen. Er wird verurteilt und nach wenigen Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Wenige Tage danach wird seine Leiche gefunden, neben ihm ein weibliche Tote, die nach Art des Flügelmachers verstümmelt wurde.

Für Herzfelds arroganten und Karriere geilen Oberarzt Professor Schneider ein simpler Fall, bei dem er medienwirksam die Lösung des Falles publik macht. Herzfeld hat indes Zweifel an dem Ablauf des Doppelmordes wie er von Schneider erklärt wird. Mit Unterstützung einer italienischen Kollegin, die im Institut hospitiert, aber auch in Alleingängen, kommt er zu anderen Schlüssen. Als sich dann herausstellt, dass die neuerliche Tote mit derselben, inzwischen aus der Asservatenkammer verschwundenen Machete zerlegt wurde, bestätigen sich die Annahmen des Assistenzarztes, der dazu gegen den von den Medien hochgejubelten Chef vorgehen muss.

Dabei verlässt die Handlung den Pfad der Glaubwürdigkeit. Herzfeld, der bis zu diesem Zeitpunkt als kühler Kopf intelligent und strategisch vorgegangen ist, begeht einige Fehler, die als dilettantisch bezeichnet werden müssen, ihn und seine Verlobte in Lebensgefahr bringen. Zudem gibt es weitere Tote. Doch dieser Wandel bringt den Thrill bis zu dem Punkt, an dem der Prolog wieder eingefangen wird – und bis zum Ende.

Michael Tsokos ist mit „Abgeschlagen“ zweierlei gelungen: neben einem „thrilligen Thriller“ schildert er die Arbeiten eines Rechtsmediziners aus erster Hand. Verglichen mit dem forensischen Anthropologen Dr. David Hunter in Simon Becketts Romanen wirkt Herzfeld wesentlich authentischer und als Leser hat man – wie oben erwähnt – den Eindruck, bei der Arbeit direkt dabei zu sein. Zudem habe ich den Eindruck, dass Michael Tsokos hier einige eigene Psychotraumata verarbeitet, Menschen, denen er in seinem Arbeitsleben ausgesetzt war. Zum einen der „giftige Toxikologe“, der bei jeder Gelegenheit verbal sein Gift versprüht, insbesondere aber der Oberarzt Dr. Schneider, der für seine Karriere „über Leichen“ geht und in seinem Verhältnis zu Herzfeld die Niedertracht in Person sein kann.

Es sind demnach nicht nur die echten Fälle und authentische Ermittlungen, die Tsokos als Basis für diese spannende Lektüre dienen, sondern auch die präzise beschriebenen Charaktere.