Mehr antike Tragödie als in Ligurien angesiedelter Cosy Crime

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alekto Avatar

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Commissario Vito Grassi hat von seinem Vater nach dessen Tod ein Haus in Levanto geerbt, das in den letzten Jahren von dessen Leben zu seinem Projekt geworden ist. Aus einer Laune heraus lässt er sich von Rom nach Ligurien versetzen. Dabei stößt Grassi aber schon bei seiner Ankunft auf unerwartete Probleme in Gestalt von seiner neuen Mitbewohnerin Toni, die zusammen mit seinem Vater das Haus auf dessen Grundstück erbaut und einen kleinen Olivenhain angelegt hat, auf Polizisten aber gar nicht gut zu sprechen ist. An deren Verschlossenheit beißt Grassi sich die Zähne aus, muss sich jedoch mit ihr arrangieren, weil sie für ihn die letzte Verbindung zu seinem verstorbenen Vater ist. An seinem ersten Arbeitstag führt ihn sein Weg zur Carabinieri-Station in La Spezia an einem Tatort vorbei. In einem Tunnel wurde die Leiche von Luisa Amoretti, die zusammen mit ihrer Familie einen Agriturismo betrieben hat, aufgefunden. Die Polizei vor Ort geht von einem Unfall aus. Doch Grassi hat da seine Zweifel.

"Abschied auf Italienisch" ist der erste Fall für Commissario Vito Grassi in seiner neuen Wahlheimat Ligurien. Mit Grassi hat Andrea Bonetto einen kantigen Charakter für seine Krimi-Reihe ersonnen, der als Kollege zwar wenig umgänglich ist, auf dessen auf seiner langjährigen Erfahrung basierenden Instinkt aber Verlass ist. Privat hängt er an seinem Roadster und seiner Plattensammlung, ist aber auch einem guten Cafe und Essen gegenüber nie abgeneigt. Im Fall von Luisa Amoretti ermittelt er an der Seite seiner jungen Kollegin Marta Ricci und wird von Rechtsmediziner Penza unterstützt. Dabei fällt Ricci durch ihren extravaganten Kleidungsstil auf, der von irritierend grünen Kontaktlinsen gekrönt wird, und Dottore Penza durch seine unwillkürlichen Pfeifkonzerte, die jede Situation mit der passenden Melodie unterlegen.
Zu Beginn stehen für einen Cosy Crime typische Elemente im Vordergrund. Eine Hauptrolle spielt dabei neben der guten italienischen Küche, die sich sogar in Grassis experimentellen Kochversuchen niederschlägt, sonst aber in den frischen Speisen eines Fischrestaurants, bei köstlichen Antipasti und mehr zeigt, die malerische Schönheit des idyllischen Ligurien. Die lässt sich in der Aussicht vom Grundstück, das Grassi von seinem Vater geerbt hat, oder auf einer Fahrt mit dem Roadster entlang der Küste genießen. Da mir die Gegend von Levanto bis La Spezia zuvor nicht bekannt gewesen ist, habe ich die in der Rückseite des Einbandes enthaltene Karte von Ligurien als hilfreich empfunden.
Humorvolle Szenen ergeben sich bei Andrea Bonetto aus den skurril angelegten Figuren, die doch sympathisch rüberkommen, sowie der Akklimatisierung des Städters Grassi an das Landleben. Letztere verläuft nicht ohne Probleme, wenn Grassi mit dem fehlenden Handynetz, der langsamen Internetverbindung und den nicht vorhandenen Lademöglichkeiten für seinen Roadster zu kämpfen hat. Zu den schrägen Figuren zählt neben Dottore Penza etwa auch Francesco, der im Dunkeln ausgestattet mit einem Nachtsichtgerät und bewaffnet mit einem nicht geladenen Jagdgewehr über Grassis Grundstück schleicht, um Toni zu beschützen.

Da zudem das Kompetenzgerangel der verschiedenen italienischen Polizeiorganisationen im Mittelpunkt steht, dauert das eine ganze Weile, bis die Ermittlung im Fall von Luisa Amoretti in die Gänge kommt. Solange Luisas Tod als Unfall angesehen wird, ist der Capitano der Carabinieri Bruzzone für dessen Untersuchung zuständig. Erst als sich die Hinweise auf ein Verbrechen nicht von der Hand weisen lassen, übernimmt die Polizia di Stato, die durch Grassi und seine neue Chefin Questore Feltrinelli vertreten wird.
Wenn die Ermittlung dann Fahrt aufnimmt, schaltet Andrea Bonetto von seiner eingangs ruhigen Erzählweise ein paar Gänge hoch. Dabei baut er die Handlung seines Krimis logisch auf. Dieser Schreibstil bringt jedoch den Nachteil mit sich, dass ich insbesondere aufgrund von nur wenigen, unzureichend ausgebauten falschen Fährten den größten Teil der Auflösung recht früh vermutet habe. So konnte mich "Abschied auf Italienisch" in seinem weiteren Verlauf mehr als Drama überzeugen, da die in seinem Kern beinhaltete Geschichte für mich Züge einer klassischen griechischen Tragödie aufgewiesen hat. Die Abgründe, die sich im Leben der daran beteiligten Figuren aufgetan haben, hat Andrea Bonetto glaubhaft für mich werden lassen.
Leider ist es dem Autor nicht gelungen, die unterschiedlichen Teile seines Romans zu einem in sich stimmigen Ganzen zusammenzufügen. Denn der Krimi beginnt als ein um Lokalkolorit angereicherter Cosy Crime, um dann als intensives Drama, das seine Tragik aus der Fallhöhe seiner Figuren bezieht, zu enden. Indem ich den Schluss dieses Buchs als stärker als dessen Einstieg, der für meinen Geschmack ein wenig langatmig ausgefallen ist, empfunden habe, hätte ich mir gewünscht, dass "Abschied auf Italienisch" sich auf das Drama konzentriert und auf den Großteil seiner Cosy Crime-Elemente verzichtet hätte. Davon hätte ich nur die besondere Kulisse der malerischen Küste Liguriens beibehalten, weil diese ein ungewohnter, zumindest mir zuvor nicht bekannter Schauplatz ist, der einen interessanten Kontrast zu den dort aufgefundenen Leichen bildet. Um den düsteren Unterton, der im späteren Verlauf dieses Krimis mehr hervortritt, zu betonen, hätte sich angeboten etwa dem über dem Totenbett seiner Mutter zwischen Grassi und seinem Vater eskalierenden Konflikt und Grassis Verwicklungen in Mafia-Fälle während seiner Zeit als Polizist in Rom mehr Raum zu geben.