Verwirklichung von Lebensträumen mit Ausgangspunkt Berliner Plattenbau! ❤️‍🩹

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Der 18. Stock eines Berliner Plattenbaus ist der Schauplatz des neuen Romans von Autorin Sara Gmuer.

Hauptfigur Wanda lebt als Alleinerziehende dort mit ihrer Tochter Karlie. Ein nicht funktionierender Lift, in dem „Müll“ gelagert ist ebenso Alltag, wie die finanziellen Probleme der meisten Bewohner. Sind sie angelangt am soziokulturellen Abgrund?!

Die junge Mama und Schauspielerin Wanda versucht den Spagat zu meistern zwischen Kindererziehung und der Verwirklichung ihrer eigenen Träume - doch gelingt es ihr?!

Als sie den Filmproduzenten Willhaus kennenlernt, sieht sie in ihm einen Stern am sonst sehr dunklen Plattenbauhimmel. Ein besseres Leben für sie und ihre kleine Tocher Wanda scheint plötzlich greifbar. Als sie zu einem Kennenlern-Dinner eingeladen wird, schnuppert sie schon förmlich die Luft Hollywoods:

"Die Männer am Nebentisch schwärmen von dem mit feinen Fettäderchen marmorierten Kobesteaks, angeblich die besten der Welt und die Frauen tupfen sich mit den weißen Stoffservietten die Mundwinkel, essen Carpaccio und spülen mit Weißwein nach. Die Kellner kommen mit dem Nachschenken nicht hinterher. Willhaus gießt selbst nach, die Gläser randvoll und gurrt bei jedem Schluck wie eine Taube. Das ist Hollywood."

Sozialkontakt pflegt sie mit einer Nachbarin von gegenüber, im Buch als „Aylins Mutter“ bezeichnet. Wanda fällt es schwer, sich mit ihrem sozioökonomischem Status zu identifizieren, daher strebt sie stets nach mehr und und sieht auch ihre Nachbarin nicht als ebenbürtig, da diese sich mit ihrer Rolle als Plattenbau-Mutti abgefunden hat:

"Carlie und Eileen spielen mit Barbies und einem echten Prinzessinnenschloss. Ayleens Mama steht verschwitzt in der Küche. Ich habe noch nie vom Kochen geschwitzt. Sie formt Bällchen aus Hackfleisch, Ei und Semmelbrösel und streicht sich mit dem Handrücken die Haare aus dem Gesicht. "Rindfleisch", sagt sie. "Kein Schwein". Bei ihr muss immer alles halal sein. Ganz wichtig. Außer bei Donuts."

Doch ist ein erfülltes Leben im Plattenbau überhaupt möglich?!

„Glück lässt sich von Pisse im Treppenhaus nicht abschrecken, Glück findet von Zeit zu Zeit sogar in den achtzehnten Stock.“

Da ich nicht hier schon den kompletten Plot vorwegnehmen möchte, geht’s an dieser Stelle weiter mit meinen persönlichen Gedanken zum Werk. Ich habe die Intention der Autorin verstanden, sie wollte ein Buch schreiben, das aufmerksam macht auf die Schwierigkeiten eines Lebens im Plattenbau und welche Unwägbarkeiten es mit sich bringt, wenn man dann doch versucht sich aus seiner sozialen Klasse zu befreien und nach höherem strebt, quasi einen neuen Lebensentwurf schmiedet. Doch hatte ich mit der Umsetzung so meine Schwierigkeiten.

„Wenn man auf die falschen Leute hört, ist man am Arsch. Als ob man Träume einfach ändern könnte. Echte Menschen verändern sich nicht einfach wie so eine fucking Romanfigur auf Heldenreise. Sie geben vielleicht auf, aber sie bleiben dieselben."

Es sind für mich Aussagen wie diese, die mich schwer schlucken lassen. Natürlich habe ich verstanden, was die Autorin ausdrücken wollte, aber es ist mir zu sehr schwarz-weiß, mir fehlen die Zwischentöne. Es kommt mir dabei auf Nuancen an, auch sprachlich und da hat sie mich leider nicht vollständig abholen können.

"Im Treppenhaus liegen Bücher, zu verschenken. Als ob hier einer lesen würde."

Warum sollten Bewohner eines Plattenbaus generell kein Interesse an Literatur haben?! Natürlich bin ich mir im Klaren, dass es sich hier meist um bildungsfernere Bürger handelt, aber es gibt immer Ausnahmen, wie es auch Bücher aller Couleur gibt, für jeden ist was dabei, unabhängig vom sozioökonomischen Status. Ich finde die Pauschalisierung an dieser Stelle problematisch und hätte mir gewünscht, die Autorin hätte genau diese Idee mit den zu verschenkenden Büchern in eine andere Richtung hätte laufen lassen, wie beispielsweise eine Bewohnerin, die zwar sonst nicht viel hat, aber sich regelmäßig an diesen kostenfreien Büchern bedient und dadurch regelrecht zu einem Literaturfreak, ja vielleicht gar zu einer Intellektuellen geworden ist (mal überspitzt gedacht) - das hätte doch unser aller Bücherherz aufblühen lassen, oder?!

Wofür ich die Autorin sehr loben und was mir ausgesprochen gut gefallen hat, speziell aus meiner Perspektive als Medizinerin, ist die Anfangsszene, in der die Tochter von Wanda eine eitrige Ohrenentzündung hat, sie von Arzt zu Arzt tingeln, bis schließlich (nach langer Warterei!) in der Notaufnahme festgestellt wird, dass es sich um eine bakterielle Meningitis (=eine Hirnhautentzündung) handelt. Selten habe ich so eine Szene so lebensnah und gut ausgeführt gelesen, gerade im Hinblick auf den medizinischen Kontext. Sowohl die medizinischen Fakten sind gut recherchiert, wie auch das Verhalten des (immer ruhiger werdenden, da ernsthaft kranken) Kindes, als auch die wachsende Ungeduld (und Angst!) der Mutter, wirklich grandios! Danke Sara Gmuer, das hat mich wirklich literarisch tief beeindruckt!

Wie sieht denn nun mein Fazit zu „Achtzehnter Stock aus“?!

Wir ihr ja sicherlich gemerkt habt, blicke ich mit gemischten Gefühlen auf die Lektüre zurück - einerseits gehe ich mit einigen Ausführungen nicht konform, sehe manches Potential als nicht vollständig ausgeschöpft an - sei es sprachlich, oder seitens der thematischen Ausarbeitung. Andererseits gibt es auch Szenen, wie die der kranken Tochter Karlie, die wirklich einer schriftstellerischen Meisterleistung gleichkommen. Macht Euch also bitte Euer eigenes Bild von Sara Gmuers Werk, es bietet auf jeden Fall reichlich Diskussionsstoff, es eignet sich also perfekt als Lektüre für Buchclubs und co.!