Ada

Zeitgeschichte, Familiengeschichte und Identitätssuche. Spannend, unterhaltsam und originell erzählt.

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susanne probst Avatar

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Es geht in „Ada“ um Selbstfindung und Identitätssuche in der noch jungen Bundesrepubublik...in einer Zeit der Umbrüche, in der bedeutende geschichtliche Ereignisse stattfanden:
Wirtschaftswunder, Mauerbau, 68-er Bewegung.

Die 1945 in Leipzig geborene Ich-Erzählerin Ada ist auf der Suche nach sich selbst, ihrer Familie und ihrem Vater.
Wir begleiten sie bis in die 90-er Jahre hinein, mit einem Schwerpunkt auf den 50-er und 60-er Jahren.

Bereits kurz nach ihrer Geburt emigriert ihre jüdische Mutter Sala mit ihr nach Buenos Aires/Argentinien und erst 9 Jahre später kehren sie nach Berlin zurück.
Es ist eine Rückkehr in ein fremdes Land, in dem die jüngste Vergangenheit totgeschwiegen wird und in eine kalte, sprachlosen Stadt. Es ist ein Heimkommen zu völlig unbekannten Leuten mit einer Sprache, die sie kaum spricht.
Und dann kommt es auch noch zum lang ersehnten Wiedersehen mit ihrem Vater Otto, einem Arzt, den sie bisher nur vom Foto kannte.
Die drei ziehen zusammen und versuchen, eine Familie zu werden.

Ada hat viele Fragen und fühlt sich mit ihren Sorgen und Nöten alleingelassen.
Wie bereits in Argentinien fühlt sie sich nirgends richtig zugehörig.
Ada erhält keine Antworten, es wird nicht gesprochen.
Sie lernt früh, ihre Angelegenheiten mit sich selbst auszumachen und wirkt, obwohl sie nicht allein ist, manchmal einsam und in mancher Hinsicht heimatlos.

Hier zeigt sich die innere Ambivalenz Adas:
Einerseits ist sie froh, dass ihr schwer erträgliche Geschichten erspart bleiben, andererseits leidet sie unter dem allgegenwärtigen Schweigen.
Die Sprachlosigkeit dieser Zeit und einer Generation wird im Roman wunderbar abgebildet.
Darüber hinaus erhält man wunderbare Einblicke in das Leben in Berlin im Nachkriegsdeutschland.

In der Geschichte geht es um die Identitätsfindung Adas, für die es unerlässlich ist, dass sie ein Bild von ihrer eigenen Vergangenheit und von ihren jüdischen Wurzeln bekommt.
Es geht darum, dass sie ihre Vergangenheit versteht, um ihren Platz in der Gegenwart zu finden.
Dabei spielen die Themen Liebe, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Freiheit natürlich durchgehend eine bedeutende Rolle.

Mir gefallen Erzählstil und Sprache des Autors.
Christian Berkel schreibt sehr gewandt, detailliert und wohlformuliert eine lebendige und spannende Familiengeschichte, die sich an wahren Begebenheiten orientiert und die als wichtiges und interessantes Zeitzeugnis gesehen werden kann.
Der melancholisch getönte Roman wirkt ehrlich und reflektiert und wird unaufdringlich in einer schnörkellosen direkten Sprache geschrieben.

Obwohl der Roman in einer anderen Zeit spielt und weil es um zeitlose individuelle Themen geht, ist er aufgrund von ähnlichen sozialen, politischen und individuellen Problemen hoch aktuell.
Die Protagonisten werden authentisch gezeichnet, deren Handlungen nachvollziehbar geschildert und die meist bedrückende, oft kühle und schweigsame Atmosphäre eindrücklich vermittelt.

Was ich (als Psychoanalytikerin) besonders originell und interessant finde, ist, dass wir Adas Geschichte in Rückblenden im Rahmen einer Psychotherapie, die sie Anfang der 90er Jahre macht, erfahren.
Vor dem Hintergrund historischer Ereignisse begleiten wir auf diese Weise Ada durch ihre Nachkriegsjugend, in der sie sich nach und nach von ihrer Familie loslöst, erste Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht und Drogen sammelt, in der Studentenbewegung der 60er Jahre mitmischt, ruhelos umherreist und schließlich sogar das legendäre Woodstock-Festival 1969 besucht.
Ein bisschen schade sind das recht abrupte Ende und der Zeitsprung zwischen Woodstock und Therapiebeginn, weil wir von der Phase dazwischen kaum bis nichts erfahren und die Geschichte für meinen Geschmack etwas zu plötzlich endet.

Der Roman von Christian Berkel liest sich leicht und flüssig, ist mitreißend, fesselnd und bewegend.

Ich empfehle ihn sehr gerne weiter!