Die Geschichte Israels, spannend verpackt, aber mit Schwächen
REZENSION – Erst durch seinen Politthriller „Maror“ (2024) wurde der für seine Science-Fiction- und Fantasy-Romane bereits mehrfach prämierte, in London lebende israelische Schriftsteller Lavie Tidhar (49) nun erstmals auch im deutschsprachigen Raum bekannt. Während er sich in diesem ersten Band seiner Israel-Trilogie noch auf den begrenzten Zeitraum des Libanon-Kriegs (1982) beschränkte, umfasst sein im Oktober ebenfalls beim Suhrkamp Verlag veröffentlichter Folgeband „Adama“ in einer spannenden Mischung aus Familienroman und temporeichem Thriller die komplexe Gesamtgeschichte des Staates Israel über vier Generationen vom britischen Mandatsgebiet Palästina (1946) und der Staatsgründung (1948) bis ins Jahr 2009.
Der Titel „Adama“, der hebräische Begriff für die von Gott geschaffene Erde und die biblische Figur des Adam, steht in Tidhars episodenhaft aufgebautem Roman für die Schaffung des Kibbuz Trashim (Land aus hartem Stein) im Jahr 1946 und die aus Ungarn geflohene Ruth als eine der ersten Siedler. Voller Idealismus beteiligt sich die junge Zionistin im „heiligen Land“ am Aufbau des Kibbuz. Ihr unaufhaltsames Engagement und ihr energisches Durchsetzungsvermögen machen sie bald zur Führungsperson der Siedlung. Auseinandersetzungen mit den britischen Machthabern sowie in späteren Jahren der Unabhängikeitskrieg, der Sechs-Tage-Krieg (1967) und der Jom-Kippur-Krieg (1973) bestärken Ruth in ihrem Vorhaben, sich und ihrer Gemeinschaft ein neues, besseres Leben zu schaffen.
Lavie Tidhar zeigt in seiner über sieben Jahrzehnte reichenden Handlung die Abfolge politischer Spannungen und gesellschaftlicher Veränderungen in Israel – einem kleinen Land, das zugleich Heimat palästinensicher Araber und indigener Juden ist sowie im 19. Jahrhundert zum Zufluchtsort für Emigranten aus Osteuropa, später für Überlebende des Holocaust wurde. Die Folge sind nicht nur territoriale Streitigkeiten zwischen Palästinensern und jüdischen Siedlern, sondern auch Konflikte zwischen den schon im Land geborenen neuen Juden und den Holocaust-Überlebenden. „Für die neuen [im Land geborenen] Israelis, die selbst erklärten Tzabarim, waren Holocaust-Überlebende gleichermaßen Opfer wie Verdächtige. Warum habt ihr euch nicht gewehrt? Und warum hast nur du überlebt, während so viele andere starben?“
Tidhars Roman ist weder ein historischer noch ein politischer Roman im engeren Wortsinn. Es ist ein Generationenroman, an dessen Handlung sich allenfalls die politische Geschichte und gesellschaftliche Entwicklung Israels mit seinen ethnisch unterschiedlichen Bewohnern zwischen den Zeilen erkennen lässt. Er zeigt unterschwellig die allgegenwärtigen Traumata und Konflikte, die über Generationen das Handeln der Einwohner beeinflussen. Doch im Vordergrund des Romans steht die spannende und auch aktionsreiche Handlung, weshalb „Adama“ zu Recht vom Verlag als Thriller vermarktet wird: Es geht um Liebe und Rache, um Gewalt und Tod, um Loyalität und Verrat. Historische Kenntnisse sind nicht zwingend nötig, um sich durch den Roman gut unterhalten zu lassen, wären allerdings durchaus von Vorteil.
Denn historische Fakten wie die genannten Kriege, deren Gründe und Abläufe, werden als bekannt vorausgesetzt. Auch wichtige Persönlichkeiten Israels wie der einstige Verteidigungsminister Moshe Dayan (1915 bis 1981) oder die ehemalige Premierministerin Golda Meir (1898 bis 1978) werden nur namentlich erwähnt, ohne weiter auf deren Leistung für ihr Land einzugehen. Man muss den Eindruck bekommen, als sei „Adama“ für Israelis oder zumindest solche Leser verfasst worden, die mit der Geschichte Israels vertraut sind. Dem entspricht auch die Einseitigkeit des Romans, was zu bemängeln ist: Das Schicksal der Palästinenser damals wie heute bleibt völlig unberücksichtigt. Beiläufig wird zu Beginn zwar erwähnt, dass in den Jahren der Staatsgründung arabische Dörfer vernichtet, deren Männer ermordet und Frauen mit Kindern verjagt wurden. Doch von den bis heute andauernden Gewaltakten radikaler jüdischer Siedler gegen Araber im Westjordanland ist nichts zu lesen.
Man sollte deshalb seinen Anspruch beim Lesen des Romans nicht allzu hoch ansetzen und ihn als das nehmen, als das er bezeichnet wird – als spannenden und temporeichen Thriller. Interessant zu lesen ist aber in jedem Fall, wie sich das gesellschaftliche Leben im Kibbuz und in Israel im Lauf der Jahrzehnte und im Wechsel der Generationen – von der jungen Zionistin Ruth im britischen Mandatsgebiet Palästina bis zu ihrer Urenkelin Hanna in den USA – stark verändert hat. Denn diese authentische Beschreibung spiegelt die persönliche Erfahrung des Autors wider: Lavie Tidhar wurde selbst als Sohn einer im Kindesalter von den Nazis verfolgten Einwanderin in einem Kibbuz geboren und wuchs darin auf.
Der Titel „Adama“, der hebräische Begriff für die von Gott geschaffene Erde und die biblische Figur des Adam, steht in Tidhars episodenhaft aufgebautem Roman für die Schaffung des Kibbuz Trashim (Land aus hartem Stein) im Jahr 1946 und die aus Ungarn geflohene Ruth als eine der ersten Siedler. Voller Idealismus beteiligt sich die junge Zionistin im „heiligen Land“ am Aufbau des Kibbuz. Ihr unaufhaltsames Engagement und ihr energisches Durchsetzungsvermögen machen sie bald zur Führungsperson der Siedlung. Auseinandersetzungen mit den britischen Machthabern sowie in späteren Jahren der Unabhängikeitskrieg, der Sechs-Tage-Krieg (1967) und der Jom-Kippur-Krieg (1973) bestärken Ruth in ihrem Vorhaben, sich und ihrer Gemeinschaft ein neues, besseres Leben zu schaffen.
Lavie Tidhar zeigt in seiner über sieben Jahrzehnte reichenden Handlung die Abfolge politischer Spannungen und gesellschaftlicher Veränderungen in Israel – einem kleinen Land, das zugleich Heimat palästinensicher Araber und indigener Juden ist sowie im 19. Jahrhundert zum Zufluchtsort für Emigranten aus Osteuropa, später für Überlebende des Holocaust wurde. Die Folge sind nicht nur territoriale Streitigkeiten zwischen Palästinensern und jüdischen Siedlern, sondern auch Konflikte zwischen den schon im Land geborenen neuen Juden und den Holocaust-Überlebenden. „Für die neuen [im Land geborenen] Israelis, die selbst erklärten Tzabarim, waren Holocaust-Überlebende gleichermaßen Opfer wie Verdächtige. Warum habt ihr euch nicht gewehrt? Und warum hast nur du überlebt, während so viele andere starben?“
Tidhars Roman ist weder ein historischer noch ein politischer Roman im engeren Wortsinn. Es ist ein Generationenroman, an dessen Handlung sich allenfalls die politische Geschichte und gesellschaftliche Entwicklung Israels mit seinen ethnisch unterschiedlichen Bewohnern zwischen den Zeilen erkennen lässt. Er zeigt unterschwellig die allgegenwärtigen Traumata und Konflikte, die über Generationen das Handeln der Einwohner beeinflussen. Doch im Vordergrund des Romans steht die spannende und auch aktionsreiche Handlung, weshalb „Adama“ zu Recht vom Verlag als Thriller vermarktet wird: Es geht um Liebe und Rache, um Gewalt und Tod, um Loyalität und Verrat. Historische Kenntnisse sind nicht zwingend nötig, um sich durch den Roman gut unterhalten zu lassen, wären allerdings durchaus von Vorteil.
Denn historische Fakten wie die genannten Kriege, deren Gründe und Abläufe, werden als bekannt vorausgesetzt. Auch wichtige Persönlichkeiten Israels wie der einstige Verteidigungsminister Moshe Dayan (1915 bis 1981) oder die ehemalige Premierministerin Golda Meir (1898 bis 1978) werden nur namentlich erwähnt, ohne weiter auf deren Leistung für ihr Land einzugehen. Man muss den Eindruck bekommen, als sei „Adama“ für Israelis oder zumindest solche Leser verfasst worden, die mit der Geschichte Israels vertraut sind. Dem entspricht auch die Einseitigkeit des Romans, was zu bemängeln ist: Das Schicksal der Palästinenser damals wie heute bleibt völlig unberücksichtigt. Beiläufig wird zu Beginn zwar erwähnt, dass in den Jahren der Staatsgründung arabische Dörfer vernichtet, deren Männer ermordet und Frauen mit Kindern verjagt wurden. Doch von den bis heute andauernden Gewaltakten radikaler jüdischer Siedler gegen Araber im Westjordanland ist nichts zu lesen.
Man sollte deshalb seinen Anspruch beim Lesen des Romans nicht allzu hoch ansetzen und ihn als das nehmen, als das er bezeichnet wird – als spannenden und temporeichen Thriller. Interessant zu lesen ist aber in jedem Fall, wie sich das gesellschaftliche Leben im Kibbuz und in Israel im Lauf der Jahrzehnte und im Wechsel der Generationen – von der jungen Zionistin Ruth im britischen Mandatsgebiet Palästina bis zu ihrer Urenkelin Hanna in den USA – stark verändert hat. Denn diese authentische Beschreibung spiegelt die persönliche Erfahrung des Autors wider: Lavie Tidhar wurde selbst als Sohn einer im Kindesalter von den Nazis verfolgten Einwanderin in einem Kibbuz geboren und wuchs darin auf.