Die Hölle sind immer die Anderen

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dunderklumpem Avatar

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Selten sehr selten, gibt es Krimis die elementare Fragen aufwerfen. Was ist Schuls, was ist Sühne, was ist Rache, was ist erlaubt, ist es möglich Neues zu schaffen ohne altes zu zerstören? Haben die Überlebenden Schuld auf sich geladen, nur weil sie überlebt haben? War es Zufall zu überleben? Was war der Preis für das Überleben? Wie gehen Menschen damit um, dass sie überlebt haben? Was war der Preis hierfür?

Möglicherweise wird dies keine Rezension, die Setting, Protagonisten, Perspektive und Erzählweise abarbeiten wird. Es gibt Romane. die den Leser ratlos zurück lassen (können).

Dieses ist eines dieser wenigen Bücher, das die Grenzen des Genre "Kriminalroman" fragmentiert, durcheinander wirft um sie auf eine für den Leser -manchmal- verstörende Weise neu zu kombinieren. Ich habe selten die Situation erlebt, dass beim Lesen die Gedanken abschweifen, daß man das Buch zur Seite legt, tief Luft holt, eine Rauchen geht, nur sich um morgens um 03.30 Uhr das Buch zur Seite zu legen, da um 06.00 der Wecker klingeln wird.

Ein Krimi, der den Leser Paul Celan aus dem Regal ziehen lässt, ist möglicherweise etwas anders als das, was die Lektorate in Reihen produzieren.

Eigentlich und uneigentlich handelt es sich wie beim ersten Band der Trilogie um einen historischen Roman ohne Ritter, ohne Drachen, weit weg was auf Netflix die Zeit des Zuschauers verschwendet.

Eigentlich und uneigentlich ist dieser Roman nach dem 7. Oktober noch besonders aktuell.

Unauffällig, leise stirbt eine alte Frau in Florida. Schnell sind die Dionge geregelt, die es zu regeln gilt, der Hausstand aufgelöst. Zwei Töchter, die eine in einem Ashram in Indien. Transzendenz ist für Sie geklärt. Hanna, die andere Tochter findet einen Aschenbecher, auf dem Palästina. Es ist ein anderes Palästina, es nicht der Brutkasten von Hamas, Muslembrüderschaften, Hisbollah und Al-Quds-Brigaden, nicht der Gegenstand zorniger Erregung von islamistischen Windelköppen.

Lavie Tidhar gelingt es in seinem zweiten Roman, den Leser durch die Geschichte Israels zu treiben. Er treibt den Lesert, er nimmt in nicht mit, er treibt die Handlung voran, scharfe schnelle Schnitte, alle Scheinwerfer an und immer in der Totalen.

Ein Aschenbecher auf dessen Unterseite "Palästina" eingraviert ist der Schrank aus Narnia, entpuppt sich als die Büchse der Pandora. Ruth hat es 1946 irgendwie nach Palästina geschafft. Sie hat die Todeslager der Nazis überlebt. Die Frage des Preises für ein Stück Brot, für eine Decke, für die kleinen Dinge die über Tod oder Leben entscheiden wird angerissen, bleibt im Dunkeln. Sie lebt nur um einen Lager für Displaced Persons zu landen, in dem es einfach nur gilt zu überleben, zu maggeln, Alltag zu organisieren und es irgendwie übers Mittelmeer nach Palästina zu schaffen.

Was passiert, als Ruth einen weiblichen Funktionshäftling aus dem KZ wiedertrifft, bleibt der Phantasie des Lesers überlassen. Ein Leben zähltze bis zur Befreiung nur sehr wenig und Rache wird zu einem Moment der persönlichen Überlebensstrategie.

In Palästina landet sie nicht im luftleeren Raum. Hier setzt der Roman an. Ein Kibbuz, dessen Gründer mit den Händen die Steine aus dem Boden klauben, nur um die Flächen landwirtschaftlich nutzen zu können.

Ein Land, das immer wieder, zum ersten Mal unmittelbar nach der Staatsgründung von fünf Nachbarstaaten angegriffen wird ist nicht wie Liechtenstein nur von Freunden umgeben, muss sich verteidigen, muss das Überleben der Bürger sichern.

Der Autor zeigt die Besonderheiten eines Kibbuz auf. Eine andere Art zu leben, die Auflösung der klassischen Kleinfamilie. Kinder die zusammen erzogen werden, die ganze Welt des Kibbzu als Eltern haben.

Was zunächst positiv klingt, eröffnet Missbrauch, Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffigkeiten Tür uns Tor. Überraschend für den Leser wird die immer wiederkehrende Situation sein, in der Opfer die Täter liquidieren.

Der Fokus immer wieder auf einer Gruppe Menschen, die zusammen aufwachsen, zusammen den Kibbuz aufbauen, sich zu gut kennen, für die es selbstverständlich sein wird, zur Armee zu gehen um das zu tun, was getan werden muss.

Tidhar gelingt es den Leser immer wieder zu überraschen, Protagonisten des ersten Romans tauchen auf, der Kibbuz entpuppt sich nicht als heile Welt, sonder als die Essenz dessen, was sich Menschen gegenseitig antun können.

Sei es, dass ein Mädchen, den Mann der sie missbraucht hat erschiesst, oder der Kibbuz Basis von etwas ganz großem wird, bei dem Drogen durch das Militär nach Ägypten verschoben werden.

Leben mutiert zu einer Verkettung von Umständen. Kinder werden geboren, Paare bilden sich, weil es gerade in dieser speziellen Situation genau jetzt passt.

Was hat dies alles mit Krimi zu tun? Der Leser möge sich überraschen lassen. Er geht richtig, richtig zur Sache.

Das Gedicht? Paul Celan.....

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng