Kratzen am Gründungsmythos
Lavie Tidhars neuer Roman erweist sich weniger als Thriller denn als hart erzählter Familienroman, der über vier Generationen hinweg das Schicksal einer jüdischen Familie mit der Geschichte Israels verknüpft. Die Story entfaltet sich rückwärts (von 2009 bis 1946) und springt zwischen Perspektiven und Zeiten. Die Konstruktion verläuft kreisförmig und verlangt aufmerksames Lesen - das macht die Lektüre ebenso fordernd wie intensiv.
Zentrale Figur des Romans ist Ruth, die 1946 im britischen Mandatsgebiet Palästina den Kibbuz Trashim gründet. Sie verkörpert – als Figur stark überzeichnet – den zionistischen Idealismus, aber auch dessen Schattenseiten. Der Kibbuz steht allegorisch für den Staat Israel: Ruth ist bereit, buchstäblich alles für dessen Erhalt zu tun und überschreitet dabei im Lauf der Jahre in teils unfassbarer Weise moralische und menschliche Grenzen. Weitere Figuren sind ihre Schwester Shosh, ihre Tochter Yael, deren Mann Dov, Sohn Ophek und Enkel Lior. Alle sind geprägt von erlittener und verübter Gewalt, aber im Gegensatz zu Ruth ist Shosh die einzige dieser Generation, die vergeben kann.
Bei der Charakterisierung seiner Figuren verzichtet Tidhar auf Psychologisierungen und komplexe Innenschau. Stattdessen lässt er seine Figuren agieren und reagieren und zeigt dadurch weit wirkungsvoller, was sie als Mensch ausmacht. Fast alle Figuren sind gewaltaffin, oft zu ihrem eigenen Schrecken. Am Ende gibt es drei Familienmitglieder, die sich kein anderes Entkommen aus der Kette der Gewalt vorstellen können, als Israel zu verlassen. Und so beginnt und endet der Roman in den USA.
Besonders interessant fand ich die Einblicke in das Leben und die Geschichte des Kibbuz, beides stark von kommunistischen Ideen geprägt. Die Perspektive der Nachkommen, die im „Kinderhaus“, ohne enge elterliche Bindung, zu harten „Sabras“ geformt werden sollten, zeigt: Auch hier war Gewalt im Spiel, die die junge Generation geprägt hat. Dazu die praktizierte Besitzlosigkeit und die damit verbundene Abhängigkeit von der Gemeinschaft, die jeden Individualismus als Egoismus verurteilte.
Tidhars Roman thematisiert die Widersprüche in der heroischen Gründungsgeschichte Israels. Entgegen dem offiziellen Narrativ hat es vor der Gründung des jüdischen Staates in Palästina eben nicht nur leeren Raum gegeben. „Es war nie nur Dreck,“ widerspricht Enkel Lior seiner Großmutter Ruth. „Hier waren Dörfer; hier haben Menschen gelebt.“ Wie so oft in der Geschichte hat sich auch in Israel erwiesen, dass Ideologie und Menschlichkeit nicht zusammenpassen. Aber Tidhar urteilt nicht und klagt nicht an - in seiner Schilderung kommt er ohne Wertung und Moralisieren aus. Das Ziehen von Schlüssen überlässt er der Leserin. Sein Stil ist hart, sachlich, fast journalistisch. Anders ist die Brutalität mancher Geschehnisse auch kaum zu ertragen.
Klar wird: Israels Lebensgefühl war und ist der Kampf ums Überleben, etwas, das wir uns nach 70 Jahren Frieden nicht mehr vorstellen können. Dass das einen Preis hat, dass dabei Werte verrutschen und Wahrnehmungen verzerrt werden, ist offensichtlich. Und dass Deutschlands Holocaust das erste Glied der Gewaltkette gewesen ist, macht für uns die ethische Gemengelage nicht einfacher. Gerade deshalb und gerade für deutsche Leserinnen halte ich „Adama“ für ein wichtiges, ein großartiges Buch, das zur Reflektion zwingt. Ich bin gespannt auf Teil 3 der Trilogie.
Zentrale Figur des Romans ist Ruth, die 1946 im britischen Mandatsgebiet Palästina den Kibbuz Trashim gründet. Sie verkörpert – als Figur stark überzeichnet – den zionistischen Idealismus, aber auch dessen Schattenseiten. Der Kibbuz steht allegorisch für den Staat Israel: Ruth ist bereit, buchstäblich alles für dessen Erhalt zu tun und überschreitet dabei im Lauf der Jahre in teils unfassbarer Weise moralische und menschliche Grenzen. Weitere Figuren sind ihre Schwester Shosh, ihre Tochter Yael, deren Mann Dov, Sohn Ophek und Enkel Lior. Alle sind geprägt von erlittener und verübter Gewalt, aber im Gegensatz zu Ruth ist Shosh die einzige dieser Generation, die vergeben kann.
Bei der Charakterisierung seiner Figuren verzichtet Tidhar auf Psychologisierungen und komplexe Innenschau. Stattdessen lässt er seine Figuren agieren und reagieren und zeigt dadurch weit wirkungsvoller, was sie als Mensch ausmacht. Fast alle Figuren sind gewaltaffin, oft zu ihrem eigenen Schrecken. Am Ende gibt es drei Familienmitglieder, die sich kein anderes Entkommen aus der Kette der Gewalt vorstellen können, als Israel zu verlassen. Und so beginnt und endet der Roman in den USA.
Besonders interessant fand ich die Einblicke in das Leben und die Geschichte des Kibbuz, beides stark von kommunistischen Ideen geprägt. Die Perspektive der Nachkommen, die im „Kinderhaus“, ohne enge elterliche Bindung, zu harten „Sabras“ geformt werden sollten, zeigt: Auch hier war Gewalt im Spiel, die die junge Generation geprägt hat. Dazu die praktizierte Besitzlosigkeit und die damit verbundene Abhängigkeit von der Gemeinschaft, die jeden Individualismus als Egoismus verurteilte.
Tidhars Roman thematisiert die Widersprüche in der heroischen Gründungsgeschichte Israels. Entgegen dem offiziellen Narrativ hat es vor der Gründung des jüdischen Staates in Palästina eben nicht nur leeren Raum gegeben. „Es war nie nur Dreck,“ widerspricht Enkel Lior seiner Großmutter Ruth. „Hier waren Dörfer; hier haben Menschen gelebt.“ Wie so oft in der Geschichte hat sich auch in Israel erwiesen, dass Ideologie und Menschlichkeit nicht zusammenpassen. Aber Tidhar urteilt nicht und klagt nicht an - in seiner Schilderung kommt er ohne Wertung und Moralisieren aus. Das Ziehen von Schlüssen überlässt er der Leserin. Sein Stil ist hart, sachlich, fast journalistisch. Anders ist die Brutalität mancher Geschehnisse auch kaum zu ertragen.
Klar wird: Israels Lebensgefühl war und ist der Kampf ums Überleben, etwas, das wir uns nach 70 Jahren Frieden nicht mehr vorstellen können. Dass das einen Preis hat, dass dabei Werte verrutschen und Wahrnehmungen verzerrt werden, ist offensichtlich. Und dass Deutschlands Holocaust das erste Glied der Gewaltkette gewesen ist, macht für uns die ethische Gemengelage nicht einfacher. Gerade deshalb und gerade für deutsche Leserinnen halte ich „Adama“ für ein wichtiges, ein großartiges Buch, das zur Reflektion zwingt. Ich bin gespannt auf Teil 3 der Trilogie.