Vom Überleben zur Schuld: Der endlose Kreislauf der Gewalt

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kirakolumna Avatar

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„Adama“ von Lavie Tidhar ist einer jener Romane, den man nicht einfach liest, sondern erlebt und der einen lange nicht loslassen.
Der israelische Autor verknüpft meisterhaft historische Recherche mit erzählerischer Kraft und schafft ein Panorama, das von 1945 bis in die Gegenwart reicht.

Im Zentrum steht Ruth, eine ungarische Zionistin (wider Willen), die den Holocaust überlebt und in Palästina ein neues Leben aufbaut. Aus Idealismus wird Härte, aus Überzeugung Macht und aus dem Traum von Sicherheit wächst ein Kreislauf der Gewalt.

Tidhars Stil ist eindringlich, aber nie belehrend. Er erzählt über Jahrzehnte, wechselt Perspektiven und Zeitstränge, ohne je den emotionalen Kern zu verlieren. Jede Figur trägt ein schweres Schicksal, und doch ist keine von ihnen bloß Symbol oder politisches Werkzeug. Die persönliche Tragödie und der historische Kontext sind hier untrennbar verwoben das macht den Roman so menschlich und gleichzeitig so schmerzhaft.
Besonders beeindruckend ist, wie Tidhar zeigt, wie die Opfer von gestern (Holocaust in Europa) selbst zu Tätern werden können (der Genozid in Gaza heute).
Ohne moralischen Zeigefinger, aber mit großer erzählerischer Wucht legt er offen, wie Gewalt weitervererbt wird, wie Trauma Ideologie nährt.
„Adama“ ist dadurch nicht nur ein Familienroman, sondern auch ein Kommentar über Macht, Schuld und Erinnerung.
Kritisch bleibt, dass die palästinensische Perspektive nur am Rand erscheint. Sie bleibt oft stumm, während die israelischen Stimmen den Ton angeben. Doch vielleicht ist genau das Teil der Aussage: das Schweigen derer, die nicht gehört werden.
Fazit: Ein großartiger, fordernder und zutiefst berührender Roman über die moralischen Grauzonen der Geschichte. Für mich der beste Roman in diesem Jahr (bisher).