Daniel sucht Alice

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liesmal Avatar

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Alice, eine Frau um die 30, hält es nicht lange aus an einem Ort. Sie ist in der ganzen Welt zu Hause. Jetzt kommt sie aus der Mongolei nach London zurück, weil ihr Vater im Sterben liegt. Sie hat zwei ältere Schwestern, Cee und Tilly. Mit vier Jahren hat Alice ihre Mutter durch einen Autounfall verloren, danach hat Tilly die Mutterpflichten für sie übernommen. Im Grunde hatte sie eine gute Kindheit, gern erinnert sie sich daran, dass ihr Dad sie als kleines Kind auf dem Arm hatte und auch an seine Bestätigung, dass er sie genauso lieb hat wie ihre Schwestern. Dennoch war da immer dies eigenartige Gefühl, das Alice allerdings nicht beschreiben konnte.

Daniel ist ein Obdachloser, lebt seit vielen Jahren auf der Straße und verbringt seine Zeit damit, alles zu sammeln, was weggeworfen wurde und am Boden liegt. Daraus bastelt er kleine Kunstwerke, die er überall verteilt. Das Wichtigste in seinem Leben ist allerdings seine Tochter ALICE, die er zwar noch nicht kennengelernt hat, aber immer noch sucht. Er weiß nicht, wo sie wohnt, aber sein ganzes Denken und Tun dreht sich darum, sie zu finden. Das Besondere an Daniel ist, dass er alles in Farben ausdrückt. So schreibt er immer wieder den Namen seiner Tochter und hat für jeden Buchstaben eine andere Farbe.

Die Geschichte von Alice und Daniel wird wechselweise von den beiden erzählt.

Alice erzählt aus ihrem Leben, von ihrer Familie und von ihrem Freund Kal, einem Inder, von dem sie sich getrennt hat, den sie aber immer noch liebt. Nach dem Tod des Vaters bleibt Alice in seinem Haus, um es zu renovieren und dann zum Verkauf anzubieten. Oft sind es scheinbar unwichtige Dinge, um die sich ihre Geschichten ranken, und es kann eine Kleinigkeit sein, die sie im Haus findet und zum Thema ihrer Erzählungen macht. Das übt auf mich einen ganz besonderen Reiz aus.

Auch von Daniel erfährt man Vieles, aber im Gegensatz zu Alice sind seine Erzählungen direkte feinfühlige Gespräche mit Alice. Immer spürt man seine Sehnsucht und die Liebe, die er zu geben bereit ist – ausgedrückt in Farben.
Nachdem Daniel den Aufenthaltsort von Alice erfahren hat, will er sich ihr zu erkennen geben – ganz langsam und vorsichtig und mit vielen Überlegungen, wie er es wohl richtig macht. Jeden Tag legt er eines seiner gebastelten Kunstwerke in die Nähe des Hauses und vorsichtig nimmt Alice die Dinge mit ins Haus, legt sie auf die Fensterbank und behandelt sie wie Kostbarkeiten, obwohl sie keine Ahnung hat, woher sie kommen. Dadurch ist sie, ohne es zu wissen, ganz tief mit Daniel verbunden und mich hat diese Stelle tief berührt.

Zu einer weiteren Besonderheit der Erzählenden gehört selbstverständlich auch der Beginn jedes einzelnen Kapitels, der eine große Gemeinsamkeit der beiden so unterschiedlichen Menschen aufzeigt. Aus den jeweils zehn Sätzen über einen bestimmten Menschen oder eine bestimmte Sache – und seien sie noch so belanglos – habe ich viele Details über die Erzählenden erfahren, die ich nicht missen möchte.
Der ungewöhnliche Schluss des Buches gefällt mir, weil das Ende des Buches nicht das Ende der Geschichte sein muss.