Die verlorene Tochter

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timphilipp Avatar

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Alice, Ende zwanzig, entstammt der Affäre ihrer verheirateten Mutter mit dem jüngeren Daniel, ohne aber jemals über ihre Herkunft aufgeklärt worden zu sein. Sie fühlt sich ungeliebt von ihrem vermeintlichen Vater und schuldig an dem frühen Unfalltod ihrer Mutter. Die Liebe zu einem jungen Inder bleibt unglücklich. So reist sie ständig in der Welt herum. Die schwere Krebserkrankung ihres (Zieh-)Vaters lassen Alice nach London zurückkehren, ohne dass es zu einer Aussprache zwischen ihnen kommt. In der Traueranzeige in der Zeitung entdeckt Daniel Namen und Anschrift seiner Tochter. Das Verlassen werden durch Alice Mutter hat ihm seinerzeit das Herz gebrochen und ihn aus der Bahn geworfen. As Obdachloser wanderte er jahrelang durch London auf der Suche nach seiner Tochter, die er noch nie gesehen hat. Die Buchstaben des Alphabets verbindet er mit Farben. Aus wertlosen Fundstücken setzt er den Namen seiner Tochter und andere Botschaften zusammen, die er in der Stadt verteilt. Auf der Beerdigung des Vaters und an ihrem Haus nimmt Daniel Kontakt zu Alice auf. Wird er sich als ihr Vater zu erkennen geben?

Formal ist das Buch dergestalt aufgebaut, dass sich kurze Kapitel jeweils aus Sicht von Alice und Daniel abwechseln. Auf diese Weise verfügt der Leser über mehr Wissen als die Protagonisten. Jedes Kapitel beginnt mit einer zehn Punkte umfassenden Auflistung bestimmter Dinge.
Materiell wird in sehr berührender Weise die Liebe eines Vaters zu seinem Kind thematisiert. Gerade der Umstand, dass es zwei Väter gibt (den biologischen und den rechtlichen), ist in der heutigen Zeit gar nicht so selten und macht die Geschichte so interessant. Mir will es allerdings nicht so recht einleuchten, warum Daniel sich nicht von Geburt an um Alice bemüht hat. Immerhin wusste doch auch der
(Zieh-)Vater Bescheid und ist ihm Alice nicht als Kuckuckskind untergeschoben worden. Insoweit bleibt das Buch eine Antwort schuldig. Die Protagonisten werden recht gefühlvoll beschrieben. Der Leser verspürt von Anfang an eine Ähnlichkeit zwischen ihnen: Beide sind verletzlich, ruhelos, laufen vor etwas weg.
Das eigentlich Besondere an dem Buch ist, wie mit den Farben gearbeitet wird. Der Umstand, dass Daniel jeden Buchstaben des Alphabets mit einer Farbe verbindet und er farbige Abfälle sammelt, bewirkt, dass sich der Leser gut in seine Vorstellungwelt hineinversetzen kann. Eine schöne Hilfestellung ist, dass im vorderen Buchinnendeckel das Alphabet mit den zugehörigen Farben abgedruckt ist. Übrigens ist Daniels Eigenart keine Fiktion der Autorin, sondern eine wirkliche Erscheinung mit dem Namen „Synästhesie“, eine angeborene Besonderheit in der Wahrnehmung von Sinnesreizen.
Gut gefallen hat mir, dass die Geschichte in London spielt. Daniels Streifzug durch diese Stadt und Alice Beschreibungen haben schon fast den Charakter eines Reiseführers und lassen die Liebe der Autorin zu der Stadt erkennen, in der sie acht Jahre lebte.

Ein Buch, das ich uneingeschränkt empfehlen kann.