spannende Grundidee

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simonef Avatar

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Mit „All better now“ veröffentlicht Neal Shusterman den ersten Teil einer Dilogie, in dem eine neue Corona-Variante namens „Crown Royale“ die Welt in Atem hält. Vier Prozent aller Infizierten sterben, doch die Genesen sind von einer einem tiefen Glückgefühl beseelt. Die Aussicht auf immerwährendes Glück ist verlockend – ist sie das Risiko einer Ansteckung wert? Diese Frage stellen sich auch Mariel und Rón, die verschiedener kaum sein könnten: Mariel lebt mit ihrer Mutter in einem kleinen Auto, beide kommen kaum über die Runden. Rón ist der Sohn des Milliardärs Blas Escobedo und fühlt eine große Leere in sich. Ein Zufall führt beide zusammen und schon bald müssen sie sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen, denn Genesene und Bekämpfer des Virus verfolgen unterschiedliche Missionen.

Die Idee des Romans hat mich sofort neugierig gemacht, weil ich das Gedankenspiel eines Glücks-Virus ethisch, soziologisch, ökologisch und ökonomisch hochinteressant finde. Welche Auswirkungen hätte ein solches Virus auf unsere Welt? Würden Not, Gewalt, Kriege und Umweltzerstörung ein Ende finden? Andererseits: Gäbe es ohne Konkurrenzdenken, dem Wunsch nach sozialem Aufstieg und dem Streben nach Erfolg überhaupt noch bahnbrechende Innovationen? Ich hatte mir von „All better now“ eine tiefergehende Auseinandersetzung mit derartigen Fragestellungen erhofft, wurde jedoch weitestgehend enttäuscht. Shusterman geht zwar auf ethische Konflikte ein, etwa, ob zum Wohle der Menschheit als Ganzes eine absichtliche Ansteckung Nicht-Infizierter durch Super-Spreader gerechtfertigt ist, und falls ja, unter welchen Voraussetzungen, doch weitere Überlegungen bleiben an der Oberfläche. Die Auswirkungen der Krankheit werden zudem nicht genauer spezifiziert. Sie die Genesenen wirklich glücklich (und was ist Glück überhaupt?), ist das Glück von Dauer? Auf mich wirken sie eher stumpfsinnig, als stünden sie unter dem Einfluss psychedelischer Drogen.

Die nicht klar umrissenen Veränderungen bei den Genesenen sind für mich das größte Manko des Buches, da es hierdurch inkonsistent und wenig glaubhaft wirkt. So suggeriert Shusterman, die Genesenen würden einen nachhaltigeren, weniger konsumorientierten Lebensstil führen. Gleichzeitig essen sie weiterhin Junk-Food und reisen vermehrt mit Autos und Flugzeugen durchs Land, der CO2-Abdruck interessiert sie schon mal nicht. Ein echtes Umdenken zum Wohl des Planeten sehe ich also nicht. Plötzlich bio-vegan lebende Menschen sind einer amerikanischen Leserschaft vielleicht auch nicht vermittelbar. Auf mich wirkt der ganze Roman diesbezüglich ein bisschen wie eine oberflächliche Behauptung ohne komplexeres Gesamtkonzept.

Auf die unvermeidliche Lovestory hätte ich gut verzichten können, sie ist aber vermutlich ein Zugeständnis an die jugendliche Zielgruppe. Der Schreibstil ist eher einfach gehalten, und streckenweise erinnert mich das Buch an einen Hollywood-Blockbuster, der eine durchaus spannende Handlung, aber wenig Tiefgang bietet.

Am interessantesten finde als Charaktere den Milliardär Blas Escobedo, der erfrischenderweise nicht den gängigen Klischees entspricht, und eine ältere Dame namens Glynis Havilland, deren gewitzte Aktionen für Überraschungen sorgen.

Ich habe lange überlegt, wie ich „All better now“ bewerten soll. Auch wenn ich mir mehr Tiefe und komplexere Charaktere gewünscht hätte, möchte ich hier bei einem Jugendbuch, das auch unterhalten und eine breite Leserschaft erreichen soll, nicht zu strenge Maßstäbe anlegen. Zudem bietet das Buch viel Stoff für interessante Diskussionen und regt zum Nachdenken an, und die Grundidee ist wirklich gut. Ich vergebe daher knappe 4 Sterne.