Und der Krieg bleibt
Wünschen wir uns das nicht alle? Glücklich zu sein? Entspricht die Paradies-Vorstellung nahezu aller großen Religionen nicht just diesem Wunsch?
Neil Shusterman hat das Gedankenexperiment unternommen und ein Virus für sein Buch erfunden, das genau diese Sehnsucht erfüllt. Entweder die Leute sterben an "Crown Royale" oder sie werden zu neuen Menschen, die nur noch darauf bedacht sind, Gutes zu tun und praktisch unfähig sind, "negative" Emotionen zu empfinden. Trauer wird von schlichter Dankbarkeit abgelöst, Schmerz durch Freude über etwas Gelerntes ersetzt, Wut verpufft einfach. Gewissermaßen Seelenarbeit im Schnelldurchlauf.
Eine interessante Auswahl von Protagonisten ist diesem Szenario ausgeliefert, Rón (ein reicher Junge), Mariel (ein armes Mädchen), Glynis (eine boshafte alte Frau mit viel Macht) und Morgan, eine junge Frau, die diese Macht übernehmen wird, als Glynis erkrankt und zur Gutmenschin gesundet.
Die günstigen Auswirkungen des Virus zeigen sich recht schnell - allerdings auch die negativen, wie etwa altruistische Überreaktionen zum eigenen Nachteil. Und bald beginnt sich ein großer Konflikt aufzubauen zwischen denen, die jetzt nur noch das Gute wollen, und den sogenannten NIcht-Umschlungenen (also Nicht-Infizierten und -Genesenen), die dadurch ihre Felle davonschwimmen sehen. Denn Gutes zu wollen wird in Shustermans Buch dadurch definiert, dass man nicht nur einfach ein bisschen freundlicher zu seinen Mitmenschen und seiner Umwelt ist. Nein, da gibt es ein klar umrissenes Ethikpaket: Genesene wollen keinen Kapitalismus oder andere ausbeuterische Systeme mehr, sie wollen die Erde schützen, sie wollen allen um sich herum helfen - und sie außerdem ebenfalls glücklich machen. Man könnte auch sagen: sie zum Glück bekehren.
Diese quasi-naturgesetzliche Moral bildet die Grundlage des Buches. Nur dass Moral - bzw. ein Wertesystem - einfach gar nichts mit Naturgesetzen zu tun hat. Die Wertvorstellungen von Menschen unterscheiden sich bekanntermaßen je nach Kultur, nach gesellschaftlichen Übereinkünften, nach Religion und so weiter. Sie sind also nicht naturgesetzlich, sondern etwas Menschengemachtes. Ich führe das nur deshalb so deutlich aus, weil das Gutsein und damit der Wertekanon in "All better now" so gar nicht hinterfragt wird.
Ob das Absicht ist und der Autor seine Leserschaft willentlich aufs philosophische Glatteis führt, wird sich wohl erst in Band 2 herausstellen. Oder auch nicht. Denn die Zielgruppe des Buches sind Jugendliche, und Shusterman hat ohnehin genug mit einer anderen Großbaustelle zu tun, nämlich mit der heiklen Frage, wie man einen heiligen Krieg aus den besten Intentionen heraus beginnen kann. In der Tat läuft es letztendlich darauf hinaus, und zwar nicht nur von der Gegenseite aus, sondern auch seitens der Genesenen. Und das zeigt dieses Buch wirklich großartig: Wie aus der bloßen Überzeugung, das Richtige zu tun, Übergriffe entstehen; wie aus dem Gefühl, erleuchtet zu sein, weiser und wahrhaftiger als der Rest, eine derartige Selbstgewissheit wird, dass es ganz natürlich erscheint, sich nicht nur zu verteidigen, sondern sogar jeder Aggression zuvorzukommen - mit allen möglichen Mitteln.
Daraus folgen für mich diverse Merkwürdigkeiten und Paradoxa: zum einen, dass ein Nicht-Umschlungener mehr gedankliche Perspektiven einnehmen kann als ein vom Virus veränderter, dass also unter dem viralen Einfluss Freiheit verloren geht. Zum anderen, dass eigentlich Freiheit ein sehr hoch geschätzter Wert ist und doch seltsamerweise in dem neuen Wertekanon eine untergeordnete Rolle spielt. Zum dritten: Wie will Shusterman es überhaupt begründen, dass die friedvollen Genesenen über Mord und Krieg auch nur nachdenken - ist es denn kein Verstoß gegen das wie oben definierte "Gutsein", wenn man sich in die eigene Tasche lügt?
Ich bin mir unschlüssig, was diese Beobachtungen zu bedeuten haben. Hat der Autor all diese Implikationen im Blick? So ganz sicher bin ich mir da einfach nicht, darum heißt es wohl, den zweiten Band abzuwarten.
"All better now" enthält natürlich noch viel mehr als die genannten Aspekte und liest sich dank zahlreicher Akteure und Konflikte auch spannend weg. Trotzdem bleibt die Buchprüferin zwiegespalten und empfiehlt den Roman zwar der genannten Zielgruppe, wenn sie Lust auf Nachdenkliches hat, aber nicht zwingend den Älteren unter uns, die das Konzept vielleicht als zu vereinfacht empfinden könnten.
Neil Shusterman hat das Gedankenexperiment unternommen und ein Virus für sein Buch erfunden, das genau diese Sehnsucht erfüllt. Entweder die Leute sterben an "Crown Royale" oder sie werden zu neuen Menschen, die nur noch darauf bedacht sind, Gutes zu tun und praktisch unfähig sind, "negative" Emotionen zu empfinden. Trauer wird von schlichter Dankbarkeit abgelöst, Schmerz durch Freude über etwas Gelerntes ersetzt, Wut verpufft einfach. Gewissermaßen Seelenarbeit im Schnelldurchlauf.
Eine interessante Auswahl von Protagonisten ist diesem Szenario ausgeliefert, Rón (ein reicher Junge), Mariel (ein armes Mädchen), Glynis (eine boshafte alte Frau mit viel Macht) und Morgan, eine junge Frau, die diese Macht übernehmen wird, als Glynis erkrankt und zur Gutmenschin gesundet.
Die günstigen Auswirkungen des Virus zeigen sich recht schnell - allerdings auch die negativen, wie etwa altruistische Überreaktionen zum eigenen Nachteil. Und bald beginnt sich ein großer Konflikt aufzubauen zwischen denen, die jetzt nur noch das Gute wollen, und den sogenannten NIcht-Umschlungenen (also Nicht-Infizierten und -Genesenen), die dadurch ihre Felle davonschwimmen sehen. Denn Gutes zu wollen wird in Shustermans Buch dadurch definiert, dass man nicht nur einfach ein bisschen freundlicher zu seinen Mitmenschen und seiner Umwelt ist. Nein, da gibt es ein klar umrissenes Ethikpaket: Genesene wollen keinen Kapitalismus oder andere ausbeuterische Systeme mehr, sie wollen die Erde schützen, sie wollen allen um sich herum helfen - und sie außerdem ebenfalls glücklich machen. Man könnte auch sagen: sie zum Glück bekehren.
Diese quasi-naturgesetzliche Moral bildet die Grundlage des Buches. Nur dass Moral - bzw. ein Wertesystem - einfach gar nichts mit Naturgesetzen zu tun hat. Die Wertvorstellungen von Menschen unterscheiden sich bekanntermaßen je nach Kultur, nach gesellschaftlichen Übereinkünften, nach Religion und so weiter. Sie sind also nicht naturgesetzlich, sondern etwas Menschengemachtes. Ich führe das nur deshalb so deutlich aus, weil das Gutsein und damit der Wertekanon in "All better now" so gar nicht hinterfragt wird.
Ob das Absicht ist und der Autor seine Leserschaft willentlich aufs philosophische Glatteis führt, wird sich wohl erst in Band 2 herausstellen. Oder auch nicht. Denn die Zielgruppe des Buches sind Jugendliche, und Shusterman hat ohnehin genug mit einer anderen Großbaustelle zu tun, nämlich mit der heiklen Frage, wie man einen heiligen Krieg aus den besten Intentionen heraus beginnen kann. In der Tat läuft es letztendlich darauf hinaus, und zwar nicht nur von der Gegenseite aus, sondern auch seitens der Genesenen. Und das zeigt dieses Buch wirklich großartig: Wie aus der bloßen Überzeugung, das Richtige zu tun, Übergriffe entstehen; wie aus dem Gefühl, erleuchtet zu sein, weiser und wahrhaftiger als der Rest, eine derartige Selbstgewissheit wird, dass es ganz natürlich erscheint, sich nicht nur zu verteidigen, sondern sogar jeder Aggression zuvorzukommen - mit allen möglichen Mitteln.
Daraus folgen für mich diverse Merkwürdigkeiten und Paradoxa: zum einen, dass ein Nicht-Umschlungener mehr gedankliche Perspektiven einnehmen kann als ein vom Virus veränderter, dass also unter dem viralen Einfluss Freiheit verloren geht. Zum anderen, dass eigentlich Freiheit ein sehr hoch geschätzter Wert ist und doch seltsamerweise in dem neuen Wertekanon eine untergeordnete Rolle spielt. Zum dritten: Wie will Shusterman es überhaupt begründen, dass die friedvollen Genesenen über Mord und Krieg auch nur nachdenken - ist es denn kein Verstoß gegen das wie oben definierte "Gutsein", wenn man sich in die eigene Tasche lügt?
Ich bin mir unschlüssig, was diese Beobachtungen zu bedeuten haben. Hat der Autor all diese Implikationen im Blick? So ganz sicher bin ich mir da einfach nicht, darum heißt es wohl, den zweiten Band abzuwarten.
"All better now" enthält natürlich noch viel mehr als die genannten Aspekte und liest sich dank zahlreicher Akteure und Konflikte auch spannend weg. Trotzdem bleibt die Buchprüferin zwiegespalten und empfiehlt den Roman zwar der genannten Zielgruppe, wenn sie Lust auf Nachdenkliches hat, aber nicht zwingend den Älteren unter uns, die das Konzept vielleicht als zu vereinfacht empfinden könnten.