Was bedeutet Glück?

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galaxaura Avatar

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Der neue Roman von Neal Shusterman, „All Better Now“, erster Teil einer Dilogie und erschienen 2025 bei Fischer Sauerländer, kann leider nicht in vollem Umfang überzeugen. Ausgestattet mit einer genialen Ausgangsidee schafft es Shusterman nicht, das dadurch gegebene Potenzial voll einzulösen.

Kurz müssen wir über das Cover der deutschen Ausgabe sprechen, meiner Meinung nach leider ein Fail, zielend auf das angepeilte jugendliche Publikum (Zielgruppe ist 14+) strahlt den Lesewilligen vom Cover ein fetter Smiley entgegen, allerdings fasst diese Optik nicht die Dimension des Romans und lässt das Buch eher wie einen Ratgeber aus der Grabbelkiste wirken. Das Cover der englischsprachigen Ausgabe wird dem Buch da so viel mehr gerecht! Wäre ich nicht im Vorfeld medial auf das Buch aufmerksam geworden, ich hätte kaum danach gegriffen.

Shusterman konstruiert in der nahen Zukunft eine neue Pandemie namens Crown Royal, kurz CR – Ähnlichkeiten zu dem Coronavirus sind absolut gewollt. An diesem Virus kann man ähnlich wie bei Covid sterben – überlebt man die Infektion jedoch, ist man ab sofort glücklich und zufrieden. Das klingt doch super, oder? Das findet auch Mariel, die wahrlich kein leichtes Leben hat und für die das Virus eine Lösung darstellen könnte. Und auch Rón, der trotz aller Privilegien, die sein Leben ihm schenkt, schon immer mit Depressionen kämpft, setzt Hoffnung auf CR. Dagegen stehen die Mächtigen und Reichen der Welt, die Nutzziehenden des Kapitalismus, für die eine glückliche und zufriedene Menschheit der Supergau wäre. Der Konflikt der Interessen ist explosiv – und auch die Pharmaindustrie wittert natürlich Möglichkeiten, zumal das Glück sich immer mehr als Gewinn mit Nebenwirkungen entpuppt...

„Crown Royal“, die neue Pandemie, ist eine für mich gelungene Gegenkonstruktion zu Corona, bis zu so schönen Details wie dem, dass Erkrankte einen besonderen Geruch wahrnehmen, während Corona ja Geruchs- und Geschmackssinn zerstört in vielen Fällen. Es ist eine tolle philosophische Frage, die zugrunde liegt: Würde man in Kauf nehmen, vielleicht zu sterben, wenn der Lohn wäre, endlich zu wissen, was wahres Glück ist und dieses damit zu erleben? Generell strickt Shusterman viele philosophische und ethische Dilemmata in seinen Roman – in der Häufung ungewöhnlich für einen Jugendroman, was das Buch auf jeden Fall sehr geeignet für eine Schullektüre macht. Und auch als erwachsene Person kommt man immer wieder an den Punkt, wo es schwer ist, sich zu entscheiden und klar eine Position zu beziehen. Das erreicht Shusterman unter anderem dadurch, dass er letztlich keine der Hauptfiguren wirklich sympathisch gestaltet. Gut für die inhaltliche Debatte – leider aber schlecht für das Leseerlebnis, denn ich konnte einfach nie ganz in die Handlung einsteigen – und das trotz wirklich viel Action und Wendungen.
Ein zweiter Kritikpunkt ist die fehlende Tiefendimension, leider kommt Shusterman von seiner Grundidee aus nicht wirklich viel weiter und vor allem hat er die Folgen des CR-Virus nicht konsistent und glaubwürdig durchgestaltet. So gibt es viele Ungereimtheiten. Am Ende präsentiert Shusterman noch einmal eine ganz neue Figur in einer ganz neuen Form – und da hat mich der Roman leider endgültig verloren, weil hier erneut ein so großes Potenzial verschenkt wird. Denn Shusterman entscheidet sich für Esoterik und Schwurbelei, statt für klaren Kopf und Kalkül. Letzteres wäre eine Bedrohung und eine neue, ernstzunehmende Fragestellung gewesen, ersteres ist leicht wegzuwischen.
Das Finale formt einen erwartbaren Cliffhanger zu Band 2 – dieser wird allerdings auch mit viel Überkonstruktion herbeigeschrieben und verlässt endgültig jeden Pfad der Logik. Darum reizt es mich momentan nicht, Band 2 zu lesen, auch wenn die für diesen Band erarbeitete Grundkonstruktion erneut interessant ist. Ich habe das Gefühl, es wäre gut gewesen, hier auf eine Dilogie zu verzichten und den Stoff komprimiert in einen Band zu bringen, das hätte viele von mir empfundenen Längen aufgehoben.
Unter dem Aspekt des Jugendbuches glaube ich, dass es durchaus funktionieren kann, hier im Rahmen einer actiongeladenen Grundstory gesellschaftliche Fragen zu vermitteln. Dennoch dürften auch Jugendliche über die mangelnde Tiefe der Charaktere und die vielen Inkongruenzen stolpern. Dringend empfehlen würde ich das Buch für eine Verfilmung, dafür finde ich den Plot wirklich sehr geeignet. Alles in allem also kein Hype – aber solide lesbar.