Das Fingerschnippen des Schicksals (Friedrich Ani)

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gerwine ogbuagu Avatar

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All die unbewohnten Zimmer – wer hat wohl darin gewohnt? Friedrich Ani nimmt uns mit in diesen neuen Roman und führt uns durch München auf den Spuren der früheren Bewohner dieser Zimmer und anderer, die sie immer noch bewohnen. In fünf Teilen treffen Ani-Leser Bekannte aus seinen früheren Tabor Süden Erzählungen. Auch hier bringt Tabor die Schatten der Vermissten zurück. Im umbenannten Dezernat K111 versammeln sich Kommissare und Fariza Nasri, die einzige Frau unter 11 Kollegen, bei Polonius Fischer, dem Chef. Mit ihr wird diese Truppe „Die zwölf Apostel“ genannt.
Dies ist keiner der üblichen Kriminalromane nach dem bekannten Muster Täter – Ermittler – Polizei und Detektiv – Aufklärung und damit hat es sich. Dieser Roman ist in einer Weise konstruiert, dass wir nach und nach die Teile wie in einem Puzzle zusammenfügen und sie nach seitenlangem Raten verstehen können. Weiße Stellen auf der Landkarte der Geschichte füllen sich allmählich mit Bedeutung. Dabei ist die Sprache literarisch und durchsetzt von interessanten neuen Wortschöpfungen. Die Geschichte wird in Rückblenden sowie vorausschauend erzählt, nicht chronologisch.
Es ist ein unerklärlicher Polizistenmord, der das K111 vor fast unlösbare Fragen stellt, kaum ist der vorhergehende Mord einer Frau aufgeklärt. Verknüpft mit den Ermittlungen werden die politischen Gegebenheiten der Republik beleuchtet. Der Rechtsdrift, die Vorurteile gegen Ausländer, die Polizeibeamten, die sehr raffiniert und verdeckt sowie rachsüchtig gegen die vermeintlichen Eindringlinge in ihrer Stadt agieren, getrieben vom im Unterbewusstsein verankertem Fremdenhass. Die die Machenschaften von Rechtsradikalen einfach so lassen, wie sie sind. Bis in die höchsten Ränge der Justiz ist es erlebbar und der Mantel des Schweigens deckt dies zu.
Die Innenansichten vieler Protagonisten sind berührend, erschreckend, sogar schockierend und dabei zutiefst menschlich. All diese Menschen haben Verbindungen zu dem Geschehen und man kann staunen, wie Ani all diese Personen in einen Zusammenhang bringt. Wir nehmen Teil an vier Wochen Arbeit, diesen Mord aufzuklären. Auch die Methoden der Untersuchenden unterscheiden sich. Nicht nur die Verbindungen zum Mordgeschehen werden erzählt. Auch die Beziehungen der Polizisten untereinander. Die Erinnerungen der Ermittlerin Fariza Nasri an die Zeit, während sie nicht München war, spielen eine Rolle. Es scheint, als ob auch die am Rande agierenden Charaktere, die urplötzlich auftauchen, zu allen anderen Personen in Verbindungen stehen, im Lauf der Erzählung werden sie langsam deutlich, so wie ein Film im Entwicklerbad im Foto an Konturen gewinnt.
Am Verhängnis eines Vaters von zwei kleinen Kindern aus Syrien wird ein Flüchtlingsschicksal verdeutlicht. Es ist nicht die Maske des Bösen, sondern das echte Böse, dem diese Familie ausgeliefert ist, soweit, dass sie ihre Existenz verliert.
Diese Geschichte rüttelt auf, wer noch nicht weiß, wie tief der Krebs der Scheinheiligkeit, der Grausamkeit, der unsagbaren Abgründe im Menschen sich eingefressen hat in dieses Land, könnte es jetzt erahnen. Wehret den Anfängen kommt zu spät, die tödliche Krankheit ist bereits weit fortgeschritten.