Ein Ausflug nach Milwaukee

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
poesielos Avatar

Von

Sneha hat Glück: Trotz Rezession findet sie direkt nach ihrem Uniabschluss eine vermeintlich gute Stelle in Milwaukee, und kann auch ihren besten Freund bald in der Firma unterbringen. Peu à peu baut sie sich ihr Leben und neue Beziehungen auf, aber gefühlt könnte die Lage jederzeit kippen. Ob sie das tut und was Sneha dem entgegenhält, betrachtet Sarah Thankam Mathews in All dies könnte anders sein.

Ich war direkt von der Leseprobe zu diesem Roman fasziniert: Sneha hat eine ganz eigene Sprache mit knappen, schnellen Sätzen, durch die man sehr schnell durch die Seiten rauscht. Dazu möchte man einfach wissen, was ihr in dieser „anderen Zeit“, wie sie es selbst nennt, zustößt und sie dazu verleitet diese Geschichte überhaupt zu erzählen. Nur weiß ich das nach der Lektüre? Ehrlich gesagt bin ich mir da nicht ganz so sicher.

All dies könnte anders sein ist ein Einblick in Snehas Leben Anfang/Mitte 20, der unglaublich viele, teils komplexe Thematiken anspricht: (Alltags-)Rassismus, LGBTQ, Einwanderung, Sucht, sexueller Missbrauch, Beziehungsunfähigkeit, Beziehungen im allgemeinen, gerechte Entlohnung und und und. Das macht Sinn, da es realistisch ist, aber durch die Fülle kratzen alle Themen nur an der Oberfläche oder werden Gedanken nicht bis zu Ende gedacht. Wie Sneha ist dadurch auch der Leser teilweise überfordert von den Situationen und kleinen Ungerechtigkeiten. Die Eigenarten von Sneha und ihren Mitmenschen machen es da manchmal auch nicht leichter…

„Wie konnte man von irgendeinem Menschen erhabene Zukunftsträume erwarten, solange einen die Gegenwart zu Pulver und Nichts zermahlte?“ | S. 274

Sei es die Hausverwalterin, die Sneha bei dem kleinsten Mucks fiese Nachrichten schreibt, oder der Chef, der Sneha und ihren Kumpel trotz gleicher Aufgaben und Qualifikationen unterschiedlich entlohnt: Nach der anfänglichen Begeisterung über ihre Stelle und das erste eigene verdiente Geld stellt sich für Sneha schnell Ernüchterung ein, und es kommt in einigen Situationen und Lebensbereichen zu Reibungen. Einige von Snehas Lösungen oder Umgangsversuchen sind dabei eher kontraproduktiv, aber auch das ist realistisch – schließlich erlebt Sneha viele erste Male (Job, Wohnung, Geld, Beziehung, Liebeskummer, etc.) in dieser Zeit! Was All dies könnte anders sein dabei echt gut vermittelt? Das Leben geht immer irgendwie weiter, und Sneha lernt in ihrem Umfeld Hilfe zu suchen und auch anzunehmen. Das war wahrscheinlich der beste Aspekt des Romans für mich, weil es definitiv keine leichte, aber so, so wichtige Lektion ist, die man als Erwachsener lernen muss.

Obwohl All dies könnte anders sein viele Themen anschneidet, plätschert der Roman in weiten Teilen dahin und Snehas Anstellung in Milwaukee ist vielleicht noch am ehesten als roter Faden zu benennen. Dadurch ist der Schluss gefühlt auch kein richtiger, sondern der Roman endet gefühlt einfach? Nicht nur ist das allgemein unbefriedigend, ich hätte mir auch generell auch Glück und Erfolg für Sneha nach allem erlebten gewünscht. Durch die unzähligen Textstellen, in denen man sich wiederfindet, und Snehas buntem Freundeskreis hat sich der Ausflug nach Milwaukee für mich aber nichtsdestotrotz gelohnt.