Zerbrechliche Zwischenwelt

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Das bemerkenswerte Debüt „All dies könnte anders sein“ der Schriftstellerin Sarah Thankam Mathews war für den National Book Award nominiert und schildert empathisch-berührend den Alltag sowie Coming-of-Age einer queeren Immigrantin im Millennial-Alter.

Sneha kam ursprünglich mit ihrer Familie von Indien in die USA, doch ihr Vater wurde abgeschoben und die junge Frau ist alleine in Milwaukee zurückgeblieben und versucht, nach ihrem College-Abschluss auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Als Immigrantin hat sie nur prekäre Anstellungsverhältnisse in Zeitarbeit, teilweise mit Zahlungsaufschub, was ihren Alltag in einer kapitalistischen, teuren Welt nicht einfacher macht. Sicheren Halt in diesen ausbeuterischen Zeiten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt geben ihr gute Freunde, mit denen sie viel unterwegs ist und ihre Sorgen teilt. Als Sneha die Tänzerin Marina kennenlernt, müssen in ihr zuerst einige Wunden, Kindheitstraumata, Unsicher- und Zerrissenheiten heilen, damit sie sich outen und eine verbundene Liebesbeziehung eingehen kann.

Sarah Thankam Mathews erzählt aus Snehas Perspektive und emotionalen Innenleben sehr intim, einfühlsam sowie humorvoll – eindringlich und grandios lässt sie ihre Zerrissenheit zwischen den Welten, ihrer traditionellen Familie in Indien, die sie finanziell unterstützt, und ihr scheinbar freies Leben in den Vereinigten Staaten aufleben. Der kluge Bildungsroman enthält viele wichtige Themen wie Freundschaft, Zusammenhalt, Mental Health, Immigration, Armut, Scham und Queerness, ohne überladen zu wirken – mit feinem Gespür für kleine Töne spinnen sich die menschlichen Emotionen, Hoffnungen und Fehlbarkeiten zu einer faszinierenden Geschichte über das Ich zum Wir und des fragil-turbulenten Heranwachsens, des Ablösens von familiären Verstrickungen sowie dem Zulassen von Verletzlichkeit und Heilung, die man nicht mehr aus der Hand legen möchte.

„Ein Mädchen immigriert an einen neuen Ort, hat aber zu viel Angst, um erwachsen zu werden, ist immer noch Mummys und Papas kleines Mädchen, übermäßig traditionell, alten Gewohnheiten verhaftet und entscheidet sich aus einer kindlichen Furcht für Gehorsam statt Glück.“ S. 172

Facettenreiche Charaktere, scharfsinnige Dialoge, poetische Metaphern wie Snehas Aufteilen ihrer zwei Welten in die Farben Grün und Blau sowie eine wunderschöne, melancholisch-moderne Prosa machen dieses intelligent-gefühlvolle Debüt zu einem bewegenden Lesevergnügen.

„Ich hatte mir eine Denkweise antrainiert, die mich unsicher zwischen diesen Quadranten schweben ließ. Hatte Brandmauern errichtet, die die beiden Hälften meines Lebens sorgfältig voneinander getrennt hielten; diejenigen, die meinen Eltern und dem Ort gehörte, von dem ich abstammte, und diejenige, die mir allein gehörte, geformt von diesem dreisten, egoistischen Land.“ S. 172