Roh, ehrlich und spirituell

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julexju Avatar

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In diesen Memoiren der Autorin Elizbeth Gilbert geht es um ihr Leben vor, aber auch vor allem NACH Ihrem Welterfolg "Eat, Pray, Love" und ihrer Liebes- und Sexsucht. Sie selbst beschreibt sich immer wieder als abhängig von der Liebe und Bestätigung anderer Menschen. Zeitgleich spielt ihre Ehe zur Musikerin Rayya Elias eine tragende Rolle in dem Buch.

Besonders die Co-Abhängigkeit der beiden zueinander, aber auch diese reine Form der Liebe (bis zur Selbstzerstörung) sind zentrales Thema für Gilbert. Allem voran auch die Drogen-Abhängigkeit von Rayya wird sehr stark besprochen und in Zusammenhang mit Gilberts eigener Liebes-Abhängigkeit und dem damit verbundenen Wunsch "andere zu retten" gebracht.

Gilbert schafft es in dem Buch ungeschönt, rau und authentisch von ihrem Leben, ihrer Beziehung und all ihren Schwächen zu berichten. Es fühlte sich für mich an, als sei dieses Buch die vollendete Form des Lösens von "ich möchte von allen geliebt werden", denn besonders gut und sympathisch kommt die Autorin nicht wirklich weg in dem Buch. Ich denke aber auch, dass das bewusst so geschrieben wurde, um nichts zu beschönigen, sich von der Liebessucht und der Validierung anderer und vergangenen Dämonen loszusagen.

Als Leserin nicht automatisch mit der Erzählerin (besonders bei Memoiren) mitfühlen zu können/wollen, ist auf jeden Fall eine neue Herangehensweise an das Genre. Ich denke nicht, dass Gilbert dieses Buch für uns als Lesende geschrieben hat, um nur auf die Gefahren von Drogen und Abhängigkeiten aufmerksam zu machen und Lösungsvorschläge zu bieten, sondern, dass dieses Buch in erster Linie auch für sie selbst existiert, um mit dieser Zeit in ihrem Leben abzuschließen und ein neues Kapitel - ein cleanes Kapitel aufzuschlagen.

Das ist ihr in meinen Augen sehr gut gelungen und ich möchte sie zu dieser Aufarbeitung wirklich beglückwünschen.

Gleichzeitig - und ja, diese Gefühle können koexistieren - habe ich zwei Aspekte, die mich an dem Buch gestört haben. Diese Punkte haben mich persönlich beim Lesen sehr irritiert und mich immer wieder etwas herausgerissen.

Das waren zum einen die Art und Weise, wie Rayya - eine verstorbene Frau, die sich selbst nicht mehr zu den Geschehnissen äußern und ihre Perspektive dazu beifügen kann - immer wieder zum Hauptthema gemacht wurde.

Es wurden sogar Teile von Rayyas privaten Tagebuch behandelt und eingeordnet und im Prinzip ihre "hässlichsten" Seiten öffentlich gemacht. Ich kann nicht beurteilen, wie sehr sich Gilbert vor Ableben ihrer Partnerin deren Einverständnis dazu eingeholt hat, aber eine Richtigstellung oder Reaktion Rayyas ist schlichtweg nicht möglich, was ich im Ausmaß dieser Darstellung schon schwierig finde. Es gab mir immer wieder das Gefühl von "Ja, ich bin eine schwierige Person und manipuliere Leute dahin, mich zu lieben, ABER GUCK WAS MEINE FRAU MIR ANGETAN HAT." Gilbert berichtet in dem Buch auch davon, dass sie ihrer Frau gegenüber Mordgedanken hatte, die Rayya bei späterer Aussprache als "cool" empfunden habe, weil Gilbert somit auch ihre "dunkle Seite" entdeckt hätte. Inwieweit das so war und Gilbert sich mit diesem Gespräch nur selbst reinwaschen und Absolution leisten möchte, kann natürlich nicht mehr beurteilt werden. Das macht diesen Aspekt so schwierig für mich.

Es fühlte sich zwischenzeitlich wie ein Ausschlachten, der Drogen-Abhängigkeit ihrer verstorbenen Ehefrau an. Schwierig.

Komme ich in dem Zusammenhang direkt zum zweiten Punkt: Die übersteigerte Spiritualität als Lösung für alles. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft Gilbert ihre Verbindung zu Gott als einzige Lösung / Begründung für richtige Entwicklungen und positive Entscheidungen in ihrem Leben erklärt hat. An diesem Punkt wurde das Buch auch immer wieder sehr repetitiv.

Es gibt ein Problem? Ratet, womit ich dieses Problem überwunden habe! Ha, richtig! Gott hat einfach gesagt: "Lass los / Mach das nicht."

Da ich selbst zu 0,0 % spirituell bin, konnte ich diese Passagen einfach nicht wirklich ernst nehmen. Ich freue mich, dass ihre (zum Glück noch harmlose) Gläubigkeit ihr so weitergeholfen hat und eine Stütze für sie ist/war. ABER, und das sehe ich als brandgefährlich an, sie ruft in ihrem Buch mehrfach dazu auf, dass die einzige Lösung von weltlichen Problemen, wie Süchten & Co in der Zuflucht der Spiritualität liegt. Das kann bei falschen/verklärten religiösen Gruppierungen zu einer Instrumentalisierung von vulnerablen Gruppen für die eigenen Zwecke entarten. Spiritualität als einzige Lösung der eigenen Probleme - praktisch als Zufluchtsort, um die eigenen Verantwortlichkeiten in eine "höhere Macht" zu geben, ist pauschal für alle Menschen gesprochen problematisch und (wie gesagt) gefährlich.

Alles in allem bin ich bei dem Buch wirklich zwiegespalten. Es regt jedoch sehr zum Nachdenken an und ich bin froh es gelesen zu haben und schätze die rohen Einblicke in Elizabeth Gilberts leben sehr.