Dilemma (mit Spoiler!)

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Jeder, der “Gut gegen Nordwind” kennt, kennt auch das Dilemma: eine wunderschöne E-Mail-Liebesgeschichte mit einem stimmigen, aber leider sehr traurigen Ende: nicht nur, dass die Protagonisten Emmi und Leo sich nicht „kriegen“, nicht einmal ein Treffen ist ihnen vergönnt.

 

Auf der anderen Seite sind Emmi und Leo so sympathisch, dass man ihnen einfach ein Happy-End wünscht. Ich vermute, dass viele Leser das Ende zwar als „richtig“ angesehen haben, aber sich doch eine glückliche Fortsetzung wünschten. Mir jedenfalls ging es so.

 

 

Jetzt gibt es mit „Alle sieben Wellen“ diese Fortsetzung. Viel passiert, und wieder wird die gesamte Geschichte nur mittels E-Mails der Protagonisten erzählt: Leo kehrt aus Boston zurück, er und Emmi mailen wieder. Emmi ist noch immer verheiratet, Leo hat eine neue Freundin, Pamela. Im Laufe der Geschichte zieht Pamela zu Leo, wird aber nicht glücklich. Er möchte mit ihr nach Boston gehen, macht aber den entscheidenden Fehler, von Emmi zu erzählen. Daran zerbricht die Beziehung.

 

Natürlich treffen sich Emmi und Leo, alles andere wäre absurd gewesen. Die virtuelle Sympathie setzt sich in der Realität fort. Leo berichtet Emmi von Bernhards Mail, was Emmi tief verletzt und schließlich auch zu Emmis Scheidung führt, sozusagen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Aber Emmi ist auch zornig auf Leo, der sie wie eine Sache oder wie ein unmündiges Kind behandelte und die Entscheidung, nach Boston zu gehen, über ihren Kopf hinweg fällte.

 

Und ja, diesmal kommen sie nach vielen Wirrungen und selbstgeschaffenen Problemen, falschen Annahmen und übertriebenen Rücksichtnahmen zusammen. Kapitel 19, das letzte, würde ich allerdings am liebsten aus dem Buch reißen: nein, ich wollte nicht lesen, dass Emmi Leo per Mail fragt, ob sie ihr Handy bei ihm vergessen hat. Völlig unnötig!

 

 

Es empfiehlt sich auf jeden Fall, vorher „Gut gegen Nordwind“ zu lesen. Glattauer erklärt zwar die fürs Verständnis wichtigsten Sachen, aber ich vermute, dass es doch befremdlich ist, wenn Emmi gleich am Anfang in ihrem typischen Stil doch eher aggressiv ist.

 

 

Durch die Treffen und den vielen Geschehnissen in der „Außenwelt“ ist dieses Buch weniger intim als das erste. Ich fand es stellenweise richtiggehend hektisch, aber es gibt auch immer wieder intensive Stellen, wo sich Emmi und Leo nur miteinander beschäftigen. Sehr schön ist der „Berührungspunkt“, der Leo und Emmi verbindet. Nicht zuletzt mag ich einfach Glattauers Sprache.

 

 

Ein zumindest halbwegs objektives Urteil fällt schwer, das Faszinierende an der Geschichte ist ja die Projektionsfläche, die der Autor anbietet. Wer würde nicht gerne Mails von Leo bekommen? Und doch bin ich nicht sicher, ob ein Happy-End dieser träumerischen Story gerecht wird.

 

 

Fazit: Man sollte vorher „Gut gegen Nordwind“ gelesen haben und sich gut überlegen, ob man mit einem Happy-End einverstanden ist.

 

 

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