Emmi & Leo zum Mitfühlen

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 „Leo, bitte melde Dich! So schweigsam heute? Dann Gute Nacht.“ So und so ähnlich klingen die Sätze, die mir im Kopf herumschwirren nach Beendigung von „Alle sieben Wellen“. Daniel Glattauer hat eine Fortsetzung von „Gut gegen Nordwind“ geschrieben – von wahrscheinlich jedem sehnsüchtig erwartet, der es vor ca. zwei Jahren gelesen hat. Damals drohte Emmis & Leos E-Beziehung zuende zu sein, ohne dass sie sich jemals getroffen hätten. Ich habe mir erst nach der Leseprobe den ersten Band als Hörbuch gekauft und konnte so nahtlos anschließen – zum Glück und auch noch ohne lange Wartezeit! Meiner Meinung nach ist das erste Buch Voraussetzung, um den zweiten Band zu verstehen.


 

Doch von Anfang an: „Alle sieben Wellen“ besteht ausschließlich aus den Emails zwischen Emmi Rothner & Leo Leike, ergänzt um die Information, wie lange es bis zur nächsten Email gedauert hat. Leo kommt von einem 9 ½-monatigen Aufenthalt in Boston zurück und findet nach der Schreibpause wieder Emails von Emmi vor. Sie ist nach wie vor verheiratet, und bei ihm bahnt sich eine neue Liebe an, aber trotzdem können sie nicht voneinander lassen und kommen sich elektronisch näher denn je. Diesmal schaffen sie es auch wirklich, sich „außer-virtuell“ (will sagen körperlich anwesend) zu treffen. Welche Entwicklung die Geschichte danach nimmt, würde hier zuviel von der Spannung nehmen. Ich habe das Buch in ca. 3 Stunden durchgelesen und war einfach begeistert!


 

Daniel Glattauer schreibt die Emails von Emmi & Leo derart authentisch, dass man fast glauben könnte, er habe schizophräne Ansätze, die ihm helfen sich jeweils in Beide hineinzudenken. Man könnte meinen, die Emails wären wirklich von zwei unterschiedlichen Personen geschrieben worden. Die Sprache der Beiden ist derart unterschiedlich, dass es einfach passt. Leo mit seinen gekonnten und meist auch wohl überlegten Formulierungen, Emmi die temperamentvollere mit einer mehr sarkastisch-provozierenden Art. Beide verbindet eine ordentliche Portion Humor, die die Dialoge lebendig über die Seiten galoppieren lässt.


 

Duch die gewählte Erzählform hat der Leser eine neutrale Beobachtungsposition, in der er sich wunderschön seine eigenen Gedanken zum Geschriebenen oder auch Nicht-Geschriebenen machen kann. Gerade in Letzterem liegt ein großer Anreiz: Wir waren bei vielen Erlebnissen eben nie dabei (z. B. als Leo & Emmi sich trafen). Die Treffen müssen wir uns anhand der danach geschriebenen Emails in unserer Phantasie ausmalen. Das gibt dem Leser wunderschönen Spielraum, sich die Handlung im Kopf zuende zu denken. Schon mal etwas „nicht gelesen“ und trotzdem genau gewusst, wie es war? Für mich ein genialer Schachzug des Autors!


 

Ob jetzt die Beziehung zwischen Emmi & Leo in dieser Form realistisch ist oder doch an einigen Stellen unglaubwürdig, mag ich gar nicht analysieren. Mal stand ich auf Emmis Seite, mal habe ich mit Leo gefühlt. Einige Entwicklungen waren vielleicht etwas sehr gewollt konstruiert, aber darüber habe ich einfach hinweggelesen. Das Buch war ein besonderes Erlebnis und hat mich einige Stunden selig schweben lassen. Vielen Dank für das Leseexemplar!