Wolf im Schafspelz

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ilonar. Avatar

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Ein interessanter und sommerlich heiterer Roman um eine seelisch verletzte und doch starke Frau, das war meine Erwartungshaltung nach der Leseprobe. Das Buch lag dann im Postkasten, wurde ausgepackt und auch vom Cover her wurde dieser Eindruck durchaus bestätigt.
Aber – es kam ganz anders und trotzdem hatte ich großes Vergnügen bei der Lektüre.
An ihrem 40. Geburtstag entdeckt Elena, dass ihr Mann sie betrügt. Kurzerhand fasst sie einen Entschluss und setzt diesen in wenigen Tagen in die Tat um. Sie packt ihre Sachen und ihren fünfjährigen Sohn, verabschiedet sich von Familie und Freunden und fährt ins südliche Italien. Dort, in der Kleinstadt Lecce in Apulien, will sie für ein Jahr eine Auszeit nehmen, um zu überlegen wie es weitergehen soll. Fürs Erste will sie bei ihrem Onkel Gigi wohnen und sich baldmöglichst sowohl Arbeit als auch eine eigene Wohnung suchen. Und das Ganze geschieht vor Weihnachten, also gar kein Gedanke an sommerlich heiter.
Eine zweite Hauptfigur betritt das Spielfeld. Michele, ein etwas jüngerer Mann als Elena, kommt fast zur gleichen Zeit nach Lecce. Er ist auf Spurensuche, denn im Nachlass seiner verstorbenen Mutter hat er eine geheimnisvolle Postkarte entdeckt, die auf eine Vergangenheit der Mutter in dieser Kleinstadt hindeutet.
Eigentlich könnte die Erwartungshaltung der Leserin jetzt eingelöst werden, Elena und Michele begegnen sich, verlieben sich etc. etc. bis zum Happy End.
Stattdessen verselbstständigen sich die Ereignisse ab diesem Zeitpunkt. Es kommen weitere Personen ins Spiel, die der Geschichte eine ganz neue Wendung geben. Gesellschaftlich und politisch relevante Themen wie Bootsflüchtlinge aus Afrika, Menschenhandel, Prostitution, Schutzgelderpressungen bestimmen plötzlich die Handlung. Hinterfragt wird das Handeln und das Selbstverständnis der katholischen Kirche und der Geistlichen ebenso wie das einflussreicher Gesellschaftsschichten des Städtchens.
Die dadurch aufgebaute Spannung steht der eines gut gemachten Krimis in nichts nach und so ist es nicht verwunderlich, dass es durchaus brenzlige Situationen gibt, aus denen sich die Elena und Michele nur in letzter Minute davonstehlen können.
Aber auch die Erwartungshaltung des „Heiteren“ wird bedient. Und zwar durch eine Reihe von Personen auf nicht unwichtigen Nebenschauplätzen. Da gibt es die alternde Hure, die sich eigentlich schon auf ihren Lorbeeren ausruht; das afrikanische Dienstmädchen von Elenas alter Freundin aus Schulzeiten, das plötzlich zu einem Mut findet, den niemand bei ihr erwartet hat und nicht zuletzt einen als Mafiajäger von Mailand nach Lecce versetzten Polizeibeamten, der im richtigen Moment auch die richtigen Schlüsse zu ziehen vermag.

Auch wenn ich zeitweilig den Eindruck hatte, dass dieses Buch sich als „Wolf im Schafspelz“ entpuppte, habe ich es doch mit großem Vergnügen gelesen. Auch wenn es im Winter spielt, ist es trotzdem auch gut als Strandkorblektüre geeignet, zumal wenn man jetzt aus unserem Winter in die Sonne fliegt. Wer sich auf eine spannende Frauengeschichte mit einem breiten Blick über den eigenen Tellerrand einlassen mag, findet hier eine unterhaltsame und spannende Lektüre, die man natürlich auch im Winter auf der heimischen Couch genießen kann.