Alles so schwer.

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Das Cover ist in zarten Blautönen gehalten, "Alles so leicht" verspricht der Titel und mit einer ebenfalls leichten und lockeren Erzählart taucht der Leser in die Welt der 17 Jährigen Stevie ein. Doch in dieser Welt ist Leichtigkeit etwas, das schon lange Zeit nicht mehr vorherrschend war.

Seit nun fast einem Jahr ist ihr Bruder Josh schon tot und mit ihm ist nicht nur Stevies einziger Bruder, sondern auch ihr bester Freund, von ihr gegangen. Der Leser wird direkt in das Geschehen geworfen und befindet sich mit Stevie auf dem Weg in eine private Therapieanstalt und lässt, durch Erinnerungsmomente die sie im Geiste wieder erlebt, einen Einblick in die Vergangenheit zu. Dort wird lebhaft geschildert, wie es zu Stevies Problemen kam. Nach und nach, Tag für Tag - Kapitel für Kapitel, fügen sich die Scherben der vergangenen Bilder zusammen und lassen an einer Geschichte teilhaben, die ins Mark und Bein geht und dabei nicht nur ein komplexes Thema bearbeitet!

Stevies Essstörung begann nicht von heute auf morgen, sondern schlich sich langsam ein. Angetrieben durch die zunehmende Verzweiflung angesichts der fehlenden Aufmerksamkeit und Anerkennung ihrer Mutter (und dadurch als Kompensation ein idealisiertes Bild dieser), versuchte sie nach und nach ihren Körper zu kasteien. Die Therapie soll ihr nun dabei helfen, ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu bringen und an ihrer Seite sind ihre neue Zimmergenossin Ashley - die sie anfänglich als eine undisziplinierte, pummelige Bulimikerin abtut - und die zwei anderen Mädchen aus demselben Bungalow Teagon und Cathy - die durch eine Magensonde ernährt werden muss, weil sie zu dünn ist. Sehr einfühlsam und anschaulich werden die Mädchen beschrieben und man lernt sie mit jedem Tag ein bisschen näher kennen, was die Erzählweise der Ich-Perspektive noch zusätzlich unterstützt.

Stevie ist am Anfang ein wandelndes Klischee und gerade deswegen eignet sie sich als Charakter ideal zur Identifizierung, auch wenn man selber nicht von einer ES betroffen ist, oder war. Die Schreibweise lässt die Gefühle von Stevie durchleben und unterstreicht an passenden Stellen mit unterdrückter Wut, Verzweiflung und fährt an manchen Stellen eine unbewusste Stärke und Trauer auf, die einem fast den Atem rauben. Doch an genau den richtigen Stellen lässt die Autorin wieder Hoffnung aufkeimen, kurze Gefühle des Glücks aufkommen, nostalgische Momente aus der Vergangenheit wieder hochbrodeln. Stevies Ansichten sind, für all diejenigen die selber einmal ähnliche Probleme hatten, sehr gut nachvollziehbar. Sie mag in unbekannten Augen vielleicht narzisstisch, oder arrogant wirken - aber sie ist in Wirklichkeit nur egozentrisch und das ist etwas, was die Krankheit mit sich bringt. Sie hält einen so sehr gefangen, dass man die Objektivität aus dem Blickfeld verliert und sich nur noch auf sich besinnt und alles, eben auch die Umwelt, auf sich bezieht. Stevie ist also keineswegs ein flacher, oder gar bösartiger Charakter, sondern ein normales Mädchen mit einer relativ weitverbreiteten Krankheit.

Im Laufe des Buches lernt Stevie mit Hilfe ihrer Therapeutin Anna Fragmente aus ihrer Vergangenheit hervorzuholen und aufzuarbeiten. Die perfekt verknüpften Rückblenden, die immer gerade genug Informationen liefern, um unbedingt weiterlesen zu wollen, veranschaulichen die Situation und gewähren einen emotionalen Blick auf die Wurzeln des Problems. Die Beziehung zu ihrem Bruder, sowie der zu ihren jeweiligen Elternteilen und zu ihrer Beziehung zu Eden werden sehr sensibel, aber mit viel Kraft, geschildert und vollziehen einen sehr ungeahnten Wandel im Laufe der Ereignisse.

Ich habe dieses Buch in "einem Atemzug" gelesen und konnte es nicht mehr weglegen, bis es zu Ende war, auch wenn - zugegebenermaßen - am Ende ein paar Fragen offen standen, die ich gerne beantwortet gehabt hätte. Da "Alles so leicht" so wahnsinnig authentisch, ehrlich und wahrheitsnah geschrieben ist (und auch weil die Auskunft der Autorin ähnliches vermuten lässt), nehme ich an, dass die Autorin Meg Haston selber wohl eine Erfahrung in die Richtung gemacht haben muss und genau das verleiht dem Buch die richtige Stärke!
Viele Bücher, die sich um dasselbe Thema drehen, sind meist oberflächlich gehalten und beschreiben nur die eine Seite der Medaille, Meg Haston aber beleuchtet die Essstörung nicht nur in ihrer vollen Symptomatik, sondern geht tiefer, zeigt verschiedene Ursachen auf und erklärt sehr ergreifend, dass in keinem Falle jemals eine Hoffnungslosigkeit besteht.

"Das Leben ist kein Problem, das es zu lösen, sondern eine Wirklichkeit , die es zu erfahren gilt." - Buddha