Die „Leichtigkeit“ verstehen lernen…

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trinity 41 Avatar

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Stephanies - oder besser: Stevies - Plan ist es, bald so leicht zu sein, dass sie am ersten Todestag ihres Bruders einfach verschwinden kann. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie will ab diesem Jahrestag keinen weiteren Atemzug mehr tun. Sterben will sie, indem sie selbst ein Organversagen durch Unterernährung herbeiführt.

Ihre schwere Anorexie verbunden mit eklatantem Alkoholmissbrauch sorgt jedoch dafür, dass sie regelmäßig entkräftet zusammenbricht und/oder ohnmächtig wird.
Nach einer weiteren langen Partynacht inkl. Alkoholexzess kommt Stevie betrunken nach Hause und findet ihren Vater entsetzt und sprachlos auf dem Sofa vor. Er sorgt dafür, dass sie umgehend in eine private Psychiatrie eingeliefert wird, in der sie die nächsten 60 Tage verbringen soll.
Doch Stevie schmiedet gleich beim Eintreffen in der Klinik Fluchtpläne, um den Zeitplan ihres nahenden Todestages einhalten zu können. Sie kommt weder mit Ihren Mitpatientinnen noch mit der „Seelenklempnerin“ zurecht, die entweder auf dem Weg zur Normalität sind oder die Normalität des Essens aufoktroyieren wollen.

Was mich mit einem mehr oder minder großen Fragezeichen zurücklässt, ist die Tatsache, dass Stevie ihre Krankheit am Unfall des Bruders und ihren damit verbundenen Schuldgefühlen festmacht. Es ist mir noch nicht gelungen, hier einen für mich überzeugenden Zusammenhang zu finden. Meist entwickelt sich die Krankheit aus den Minderwertigkeitskomplexen des Einzelnen heraus… der Leidensweg ist vorprogrammiert. Hier ist jedoch der Weg das Ziel – ein langer, qualvoller Tod im Gedenken an das Vorgefallene… wie gesagt, dieser Teil lässt mich ein wenig ratlos zurück.

Aber dafür verstehe ich nun, weshalb mich das Buch von Anfang an mitgerissen und nicht mehr losgelassen hat. Die Autorin hatte selbst schon unter diesem Krankheitsbild zu leiden und konnte eigene Therapieerfahrungen einfließen lassen. Die Therapie in den USA unterscheidet sich dabei offenbar nicht maßgeblich von der Europäischen. Die Patienten werden zunächst von der Außenwelt abgeschnitten und müssen versuchen, alleine zurecht zu kommen. Und nach und nach (nach einer langwierigen und schmerzvollen Therapie) erfolgt die Wiedereingliederung…

Die Autorin versteht es, den Leser mitzunehmen, ihn in das Geschehene einzubeziehen und ihm das volle Ausmaß der Krankheit klar zu machen. Ich denke, dass dies besonders für selbst Betroffene oder Familien von Betroffenen ein lesenswertes und lehrreiches Buch ist.

Abschließen will ich mit dem Cover, das eine trügerische Leichtigkeit vermittelt, die wiederum für den ganzen Inhalt des Buches steht. Die papiernen Wolken, Vögel und Luftballons, die vergeblich versuchen, sich von der Welt zu lösen. Sie werden von seidenen Fäden vom Fliegen abgehalten, der an einer ausgestreckten Mädchenhand befestigt ist.

Sicher bleiben am Ende einige Fragen offen. Aber mein Anspruch an ein Buch ist es auch nicht, alle Fragen abschließend zu klären, sondern vielmehr zur Diskussion anzuregen.

Daher gibt es von mir 5 von 5 möglichen Punkten.