Die Schrecken des Exils

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Anna Funders erster Roman erzählt die Geschichte einer Gruppe deutscher Dissidenten, die bereits im Jahr 1933 nach London flohen. Die Romanfiguren sind historische Personen, die Funder mehr oder minder fiktionalisiert hat: Ernst Toller, zu seiner Zeit berühmter Dramatiker und ehemaliger Präsident der kurzlebigen Bayrischen Republik; Ruth Wesemann, verheiratet mit dem schönen, schillernden Hans Wesemann, Journalist im Vorkriegsberlin; Dora Fabian, Kusine von Ruth und Assistentin und zeitweilige Geliebte von Ernst Toller und eine der ersten Feministinnen; Jacob Berthold, renommierter linker Journalist. Ruth Wesemann (real Ruth Blatt) wird die einzige sein, die das Exil überlebt und nach langer Odyssee in Australien eine neue Heimat findet. Dort begegnet sie 1984 der damals 18jährigen Autorin, mit der sie bis zu ihrem Lebensende 2001 eine Freundschaft verband.

Funder erzählt folglich aus der Perspektive von Ruth; die zweite Perspektive ist die von Ernst Toller in seinem Exil in New York 1939. Toller schreibt in seinem Exil in eine Art biografisches Tagebuch, um Doras Verdienste zu würdigen, die nicht nur todesmutig seine Manuskripte aus seiner Wohnung rettete und nach London schaffte, sondern auch Herz und Motor des Exilwiderstands in London gewesen ist. Dieses Tagebuch wird 2001 gefunden und dem Wunsch des Urhebers gemäß Ruth übereignet. Mit Ruths Erhalt dieses Manuskripts steigt der Roman in die Geschichte ein; angeregt durch die Lektüre erinnert sie ihre Sicht der Ereignisse. Der Roman springt permanent zwischen der Gegenwart, der Vorkriegszeit und Kriegszeit hin und her; die Erinnerungen Tollers wechseln ab mit Ruths eigenen Reminiszenzen. Dieses formale Kunststück meistert Funder mit bravouröser Klarheit, ohne die Leserin zu verwirren.

Dabei wird schnell klar, dass die eigentliche Hauptperson Dora Fabian ist; sie ist Funders charismatische Heldin, um die alle anderen kreisen. Die schäbige Wohnung in der Great Ormond Street, die sie mit Ruth und Hans bewohnt, wird so zum Zentrum des deutschen Widerstands.

„Alles was ich bin“ ist eine Geschichte über Zivilcourage und Moral. Und nicht alle, die das Exil nicht nur ihrer Muttersprache, sondern auch des intellektuellen Nährbodens beraubt hat, sind in der Lage, die Moral hochzuhalten. Dazu kommt der Kulturschock der englischen Gesellschaft, die die liberalen Linken mit ihrer Distanziertheit und ihrem befremdlichen Klassensystem konfrontiert. Das Asyl wird zudem nur unter der Bedingung gewährt, dass die Exilanten auf jegliche politische Agitation verzichten. Ausspioniert und terrorisiert von englischen Nazi-Agenten und streng beobachtet durch Scotland Yard, können die Exilanten nicht einmal vor der drohenden Gefahr aus Deutschland warnen. Vor allem der labile Hans Wesemann, in Berlin bestens vernetzt und am Puls der Zeit, leidet unter seiner neuen intellektuellen Stimm- und Bedeutungslosigkeit. Auf ihn wirkt der Verlust von Sprache und Kontext am verheerendsten; er wird Ruth und seine Freunde im weiteren Verlauf der Ereignisse auf jede erdenkliche Art und Weise enttäuschen. Für mich war er in seiner Komplexität die gelungenste Figur des Romans und weit interessanter als die glamouröse Dora. Funders Darstellung des Exils ist überzeugend; das Klägliche, die Armut, die ständige Angst wird fühlbar.

Der Roman liefert uns auch den Grund für die Hellsichtigkeit der Exilanten: Woher wussten sie es? So viele haben still gehalten und gehofft. Woher kam ihr sicheres Urteil? Ihre Kritik am Geschehen nutzte die bürgerlichen Werkzeuge: Journalismus, Karikatur, Satire. Die Reaktion auf diese Kritik war jedoch so unbürgerlich brutal, dass sie nicht umhin konnten zu erkennen, dass die Situation bereits lebensgefährlich war.

Es ist gut, sich an diese Exildeutschen zu erinnern. Das Verdienst von Anna Funder ist es, diese fast vergessenen Gestalten der deutschen Geschichte wieder in unser Bewusstsein gebracht und ihnen mit ihrem Roman ein Denkmal gesetzt zu haben.