Spanische Charlotte Link...?

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singstar72 Avatar

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Ein Schriftsteller begibt sich nach dem plötzlichen Unfalltod seines Ehemannes auf Spurensuche nach Galicien – was nur hatte der Ehemann dort gewollt? Angeblich hatte er in Barcelona bei einem Meeting geweilt. Es stellt sich heraus, dass er einen Teil seiner komplexen und düsteren Familiengeschichte verheimlicht hat. Um Manuel zu schützen? Oder um etwas zu vertuschen?

Hombre, was für ein Roman! Prallvoll, drall, erzähllustig, detailreich. Und von all dem beinah ein wenig zu viel. Und außerdem noch schwer einzuordnen. Denn - als was soll ich dieses Buch nur bezeichnen? Ein Roman, sicherlich. Aber was überwiegt? Ist es Familiensaga, Liebesgeschichte, oder Krimi? Von allem etwas, würde ich sagen. Dabei ist eine höchst ungewöhnliche Mischung herausgekommen – und das kann man durchaus mögen.

In der Werbung wurde Dolores Redondo vorab als die „spanische Charlotte Link“ bezeichnet. Das trifft es meiner Meinung nach nicht ganz. Eines ist sicher unstrittig – das Buch wurde erkennbar von einer Frau geschrieben. Es ist in weiten Strecken äußerst „sinnlich“. Die ersten gut 300-400 Seiten bestehen aus Reisen, gutem Essen, Landschaftsbeschreibungen, einer Weinlese, und schönen Gärten. Erst etwa ab der besagten Seite 400 wurde es für mich zum Krimi. Der sich zu einem – zugegeben – höchst unerwarteten Finale steigerte.

Mich hat die Themenmischung aber auch irritiert. Dass es ein homosexuelles, ja gar verheiratetes Paar als Titelhelden gab – okay, gut und mutig. Auf der anderen Seite dann wieder diese verbissene Beschäftigung mit Adel und Klassenunterschieden. Ich wusste gar nicht, dass das in Spanien noch ein solches Thema ist! Mir war das jedenfalls fremd.

Schön, ja sehr schön, waren die schon erwähnten „sinnlichen“ Anteile. Ich habe die Beschreibungen der Umgebung, des Weinberges, und des Gartens sehr genossen! Und oft hätte ich gerne mit den Figuren gespeist und getafelt. Sehr gut auch die Schilderung der Rolle eines Schriftstellers! Außerdem ist Manuel großer Fan von Edgar Allan Poe, und sinniert immer wieder über dessen Gedicht „The Raven“ (...“nevermore“… „nimmermehr“...)

Einige Nebenhandlungen haben dann aber dazu geführt, dass das Buch für mich ansatzweise „überladen“ wirkte. Etliche verkorkste oder gescheiterte Beziehungen. Diverse familiäre Abhängigkeiten. Die Rolle des Anwalts der Familie. Des Gärtners. Der Haushälterin. Ganz zum Schluss auch noch mystische Anteile (wie in „Ghost – Nachricht von Sam“). Und und und… da schwirrte mir der Kopf.

Ich pendele mich auf einer Bewertung von vier Sternen ein. Man muss bei diesem Buch schon bereit sein, Erwartungen an Genregrenzen fallen zu lassen. Das Familiendrama ist opulent – der Krimi an sich moderat bis ordentlich. Den Reiz des ganzen macht, wie gesagt, die Mischung aus, und die üppige Erzählweise.