Als „Dr. Shiwago“ zur Waffe der CIA wurde - und doch ein Liebesroman

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emma winter Avatar

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Liebesroman oder Spionagegeschichte? „Alles, was wir sind“ von Lara (!) Prescott ist beides, so wie Pasternaks Weltbestseller Liebesgeschichte und Kriegsgeschichte ist. Von beiden Romanen bleibt die Liebesgeschichte stärker im Gedächtnis.

Prescott zeichnet die Entstehungsgeschichte von „Dr. Shiwago“ nach, deren Hauptfigur Lara an Pasternaks Geliebter Olga angelehnt ist. Während Sowjetrussland das Buch verbietet und einen Druck verhindert, wird das Manuskript nach Italien geschmuggelt und zunächst dort gedruckt. Schließlich lässt die CIA das russische Original vervielfältigen und schmuggelt das Buch wieder zurück in die Sowjetunion; „Bücher als Waffe“ lautet das Motto. 1958 wird Pasternak der Nobelpreis für Literatur verliehen, auf Druck der Regierung verzichtet er jedoch auf den Preis. Nach seinem Tod wird Olga ein zweites Mal zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Auf Basis dieser und weiterer historischer Fakten hat Prescott einen wirklich interessanten und allemal lesenswerten Roman geschrieben.

Die Geschichte spielt über einen Zeitraum von etwas über zehn Jahren an zwei Schauplätzen, nämlich denen des Kalten Krieges: Osten und Westen. Obwohl Prescott auf freigegebene CIA-Unterlagen zurückgreifen kann, ist der Großteil der West-Geschichte fiktiv. Hier spielen die Stenotypistinnen des Schreibpools eine wichtige Rolle. Über ihre Schreibmaschinen gehen alle Geheimnisse und mit ihnen beginnt und endet auch der Roman. Während Olga 1949 das erste Mal verhaftet wird, sind die Stenotypistinnen an ihren Schreibmaschinen gefangen. Trotz hoher Qualifikationen scheint ihr einziger Ausweg eine Heirat zu sein. Olgas Freiheit wäre der Verrat von Pasternak.
Wenige CIA- Damen werden für Sonderaufgaben ausgewählt und ausgebildet. Zu ihnen gehört Irina, deren Familie aus Russland stammt. Sie arbeitet mit an der Shiwago- Mission.

Der Ost-Teil der Geschichte, der das schwere Schicksal von Olga und ihrer Familie sowie die Beziehung zu Pasternak erzählt, hat sehr eindrückliche Stellen; besonders die Szenen, die im Lager Potma spielen.
Insgesamt ist die West-Geschichte um Irina aber die interessantere. Das hat nicht (nur) mit der CIA zu tun. Auch wenn man einiges über Spionage erfährt, ist das vorliegende Buch kein klassischer Spionageroman, dafür fehlt die Spannung. Die „Geschichte“ ist einfach lebendiger, vielleicht gerade, weil hier die Fiktion große Lücken füllen muss. Auch werden diesem Erzählstrang 100 Seiten mehr Raum gegeben.

Die 15 Osten/Westen-Teile sind in 28 Kapitel unterteilt. Dabei verwendet die Autorin die Überschriften, um die Entwicklung der Personen zu verdeutlichen. Wenn Irina in Kapitel acht zur Überbringerin wird, steht ihr alter Status als Bewerberin noch durchgestrichen darüber. Olga bringt es in Kapitel 28 auf sieben Bezeichnungen. Dies veranschaulicht nochmals auf knappste Weise, was die Figuren durchlebt haben.

Die Ich- Erzählerinnen in Ost und West stehen im Zentrum des Romans und mit ihnen ihre Liebe, Hoffnung, Verzweiflung und Enttäuschung. Der Autorin ist ein großartiger Debütroman gelungen, der geschickt Fakten und Fiktion verknüpft. Ein Lesevergnügen, das auch - aber nicht nur - die bisher wenig bekannten Ereignisse rund um die Entstehung und Veröffentlichung von „Dr. Shiwago“ thematisiert.