Albi mit dem Bogen lässt Geschichte lebendig werden

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mrs-lucky Avatar

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Vielleicht war es ganz gut, dass ich eher zufällig über diesen Roman gestolpert bin, Frauenliteratur ist nicht gerade mein bevorzugtes Genre. So aber konnte mich diese emotionale und feinfühlig erzählte Geschichte sehr berühren und positiv überraschen.
Der Klappentext ist ein wenig irre führend, stellt er doch Jennifer Feldman in den Vordergrund, deren Traum von einer Teilnahme an der Olympiade 2012 in London durch ihre wiederkehrenden Panikattacken gefährdet ist. Jennifers Geschichte bildet jedoch nur den kleineren Teil des Romans, die eigentliche tragische Heldin der Geschichte ist Jennifers Urgroßmutter Alberta, deren Familiengeschichte den größeren Raum einnimmt. Das Buch ist in 11 Teile gegliedert, die abwechselnd von Jennifers Vorbereitungen für die Olympiade 2012 erzählen und von der Familiengeschichte Alberta Berhards. Jennifer erfährt erst jetzt, dass ihre Urgroßmutter nicht nur deutsche Wurzeln besitzt, sondern sogar selbst einmal an einer Olympiade teilgenommen und ein Goldmedaille gewonnen hat, und zwar 1936 in Berlin im Bogenschießen.
Alberta ist fast 100 Jahre alt, als Jennifer sie auf ihrem Landsitz besucht und Einblick in ihre Familiengeschichte bekommt.
1932 darf Alberta ihren Vater, der im Radio als Sportreporter arbeitet, zu den olympischen Spielen in Los Angeles begleiten. Auf dieser Reise lernt sie nicht nur den begabten Springreiter Hannes von der Weydt kennen, sondern auch den britischen Adligen und Sonnyboy James Seaton-Carew, der dort ebenfalls beim Springreiten antritt. Beide Männer werden in Albertas Leben noch eine große Rolle spielen. Mit der Machtergreifung der Nazis beginnt eine schwierige Zeit in Deutschland, die deutschen Sportler für Olympia 1936 werden zur Propaganda missbraucht, auch „Albi mit dem Bogen“ muss einige Kompromisse eingehen, um ihren Traum verwirklichen zu können. Charlotte Roth geht in diesem Roman anhand der Geschichte Albertas, ihrer Familie und einiger anderer einflussreicher Personen sehr einfühlsam auf die sich verändernden Stimmungen und Verhältnisse im sich wandelnden Deutschland ein. Es kommt gut zur Geltung, wie schwierig das Leben damals war, und wie schwierig, sich dem Einfluss Nazi-Deutschlands zu entziehen oder gar zu widersetzen. Der Fokus bleibt jedoch auf den Hauptpersonen und deren teils tragischen Schicksalen und erschint so manchmal eher oberflächlich.
Die Charaktere und auch viele Szenen wirken jedoch sehr lebendig, Alberta ist ein sehr positiver Mensch und zieht die Sympathien auf sich, so dass ich an vielen Stellen mit ihr mitgefiebert und gelitten habe.
Gegen Ende wirkt die Geschichte sehr gerafft und driftet dann doch etwas sehr ins Pathetische ab, findet aber insgesamt einen runden Abschluss.
Für mich war das Buch eine positive Überraschung, die Geschichte hat mich auch dann weiter beschäftigt, wenn ich das Buch weg gelegt habe. Es hat mich zum Nachdenken angeregt, wie ich mich wohl in der damaligen Zeit entschieden und verhalten hätte. Ich werde mir die Autorin auf jeden Fall merken, da mir ihr Stil sehr gut gefallen hat und dieser Roman die Geschichte lebendig hat werden lassen.