Sehr berührend

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simone1711 Avatar

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Liz Murray hat ihre zutiefst berührende Lebensgeschichte aufgeschrieben. Selbst im tiefsten Sumpf wusste sie sich immer zu helfen, bemitleidete sich nicht, sondern wurde tätig. Mit positiven Gedanken und Tatkraft gegen alle Widerstände sorgte sie dafür, dass ihre Wünsche irgendwann Wirklichkeit wurden. Als sie in ihrem Buch beschrieb, wie sie ein Blanko-Zeugnisformular mit ihren Wunschnoten ausfüllte dachte ich, dass sie der geborene Coach ist, der einem beweist, dass man mit positivem Denken fast alles erreichen kann.

Aber kann man das? Wie viele Kinder schaffen es aus diesen Verhältnissen nicht heraus? Ist das wirklich nur der fehlende Wille, der Mangel an positiver Vorstellungskraft, oder ist das Schicksal manchmal einfach zu grausam und lässt vielen nicht die Chancen, die Liz hatte?

Das zu beantworten ist schwierig, aber es spielt auch keine Rolle. Mir hat sehr gut gefallen, wie Liz Murray ihre Kindheit im Drogensumpf der Eltern beschrieb. Ich hatte keine Minute das Gefühl, dass sie irgendetwas beschönigen oder schlimmer machen würde, auch nicht sich selbst. Alles wurde ohne Selbstmitleid, ohne Pathos, aber mit sehr viel Ehrlichkeit und Liebe erzählt. Ihre Eltern gaben das Einkommen lieber für Drogen als für ihre Kinder aus, brachten sie in gefährliche Situationen, verkauften ihre Kleider für den nächsten Schuss - aber was soll Liz anderes tun als ihnen zu verzeihen? Die Liebe, die sie zu ihrer Mutter empfindet und die es ihr schlussendlich unmöglich macht, ihren Tod durch das HI-Virus mitanzusehen, spricht aus jedem Satz. Und doch macht sie nie in ihren Erzählungen etwas Besonderes aus sich, obwohl viele Kinder ihre Eltern für weniger schlimme Vergehen verachten und den Kontakt mit ihnen abbrechen, sie schon gar nicht pflegen. Wer verkraftet denn ohne weiteres viele Abende, an denen man mit leerem Magen ins Bett gehen muss während man genau weiß, dass die Eltern das Geld für Drogen ausgegeben haben? Dass man sich nicht mehr duschen kann, weil in der Badewanne brackiges Wasser steht und keiner den Abfluss reinigt? Dass die Mutter einem im Drogenrausch vor dem ersten Schultag total die Haare verschneidet und einen so dem Spott der Mitschüler aussetzt? Besonders heftig fand ich die Beschreibungen, wie Liz' Mutter ihre Tochter nachts wach hält, damit sie jemanden zum reden hat, während Liz eigentlich wegen der Schule schlafen müsste. Das Resultat: Da sie sich dort sowieso unwillkommen fühlt und auch noch übermüdet ist, schwänzt sie immer häufiger.

Wäre das nur ein Roman, so wäre er schon berührend genug, aber da es eine wahre Geschichte ist, kann man es kaum ertragen, sich manche Dinge vorzustellen, die Liz durchmachen musste. Trotzdem ist die Botschaft dieses Buches nichts anderes als Hoffnung. Es macht einem klar, dass es zum Großteil an den eigenen Gedanken liegt, als wie glücklich, gesegnet oder schlimm man sein Leben letztendlich empfindet. Im Buchladen wäre ich vermutlich eher dran vorbei gelaufen, und somit wirklich selber schuld gewesen.