Aufdecken norwegisch-deutscher Familiengeheimnisse nach dem 2. Weltkrieg

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
violetta1961 Avatar

Von

Das Cover zeigt ein Foto, auf dem eine jüngere Frau nachdenklich im Schatten eines Baumes auf einem Felsen am Meer sitzt. Dieses Bild drückt schon viel über den Roman aus. Die Geschichte wird in zwei sich häufig abwechselnden Zeitebenen erzählt, die auch mit unterschiedlichen Schrifttypen leicht zu erkennen sind. In der Gegenwart flüchtet die Protagonistin Juni vor ihrem gewalttätigen Ehemann auf die Insel ihrer Großeltern. Sie räumt das Haus ihrer verstorbenen Großeltern und ihrer ebenfalls verstorbenen Mutter Lilla auf und stößt so auf die Familiengeschichte, die vor ihr geheim gehalten wurde.
Ihre Großmutter Tekla, in Norwegen als "Deutschmädchen" diskriminiert, verlässt mit ihrem Ehemann, dem deutschen Soldaten Otto, Norwegen.
Sie wollen ein neues Leben im von Russen besetzten, völlig zerstörten Demmin beginnen. Dieser Erzählstrang beginnt Ende des 2. Weltkriegs und stellt die Situation norwegischer Frauen dar, die sich in deutsche Soldaten verliebt hatten. Sehr berührend wird das damalige Leben mit Angst und brutalen Übergriffen von der sowjetischen Besatzungsmacht geschildert. Einiges war mir schon darüber bekannt, der Massensuizid in der kleinen ostdeutschen Stadt Demmin jedoch war mir neu; eine gelungene Bewusstmachung, diese historische Tatsache im Roman zu beschreiben.
In der Gegenwart lesen wir von der Suche der Enkelin Juni, die Fotos, Briefe u.a. findet, die nach und nach ihr Familiengeheimnis lüftet. Dadurch kann sie nachträglich ein Verständnis der Konflikte ihrer Mutter Lilla mit der Großmutter Tekla sowie ihrer eigenen gewinnen. Bei der Suche wird sie von Georg, einem neuen Nachbarn auf der Insel, unterstützt. Mein einziger Kritikpunkt ist die Figur Georg. Als attraktiver, nahezu traumhafter Mann in Junis Alter, der sich auch noch beruflich mit Historie beschäftigt, finde ich ihn etwas zu konstruiert. Ein großes Thema dieses Romans sind unbekannte Väter und die Spurensuche nach ihnen. Das Buch ist wunderbar geschrieben, die Charaktere plastisch. Ich konnte von Anfang bis Ende in den Sog der Geschichte eintauchen. Ein sehr zu empfehlendes Buch!