Norwegisch-deutsche Geschichte

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Die norwegische Journalistin und Schriftstellerin Trude Teige hatte mit ihrem Roman „ Als Großmutter im Regen tanzte“ in ihrer Heimat einen Riesenerfolg. Das Buch stand lange Zeit auf den Bestsellerlisten und war für den dortigen Buchhandelspreis nominiert. Das verwundert nicht. Verarbeitet sie doch in einer spannenden und unterhaltsamen Familiengeschichte ein lang tabuisiertes Kapitel norwegischer Historie.
Während der Besatzung Norwegens durch die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg haben etwa 30.000 bis 50.000 Frauen eine Beziehung zu deutschen Soldaten unterhalten. Nach dem Krieg wurden diese Frauen als sog. „Tyskerjentene“, als „ deutsche Mädchen“ gebrandmarkt. Sie wurden willkürlich verhaftet und eingesperrt, sie verloren ihre Arbeit und nach ihrer Heirat wurde ihnen die norwegische Staatsbürgerschaft aberkannt. Erst 2018 hat sich der norwegische Staat dafür entschuldigt.
Dieses brisante Thema verknüpft die Autorin mit einem lange verdrängten Kapitel deutscher Geschichte, dem Massenselbstmord in der vorpommerschen Kleinstadt Demmin im Frühling 1945. Schätzungsweise 1000 Menschen nahmen sich aus Angst vor den Russen und aus Verzweiflung über den verlorenen Krieg das Leben.

Juni hat massive Probleme mit ihrem gewalttätigen Ehemann. Zuflucht sucht sie auf der kleinen norwegischen Insel, auf der sie aufgewachsen ist. Hier steht das Haus ihrer Großeltern, das sie nach dem Tod ihrer Mutter Lilla geerbt hat. Beim Aufräumen stößt sie auf ein altes Photo, das ihre Großmutter Thekla in den Armen eines deutschen Soldaten zeigt. Dazu ein Brief ihrer Großmutter, datiert mit April 1947 und einem deutschen Poststempel.
Wer war dieser Soldat und weshalb war ihre Großmutter nach Kriegsende in Deutschland?
Auf der zweiten Erzählebene erfahren wir Theklas Geschichte. Die hat sich, zum Entsetzen ihrer ganzen Familie, in den deutschen Soldaten Otto verliebt. Nach der Befreiung Norwegens will sich das Paar in Ottos Heimat niederlassen. Bevor sie mit einem Frachtschiff nach Deutschland ausreisen können, müssen sie noch unter unwürdigen Verhältnissen in einem Ausreiselager verharren. Noch in Norwegen heiraten die Beiden. Im völlig zerstörten Hamburg angekommen, werden sie mit dem tatsächlichen Ausmaß der Zerstörung Deutschlands konfrontiert. Doch Otto will weiter, zum Gutshof seiner Eltern in Demmin. Aber auch dort ist nichts mehr so, wie er es in Erinnerung hat.

Trude Teige entwickelt ihre Geschichte auf zwei Zeitebenen. Parallel zum Erzählstrang in der Vergangenheit berichtet die Ich- Erzählerin Juni von sich und ihren Recherchen. Nach und nach erschließt sich ihr das ganze Geheimnis ihrer Großmutter, das mehr ist als die verbotene Liebe zwischen einer Norwegerin und einem Deutschen.
Juni begreift nun, warum das Verhältnis zwischen Thekla und ihrer Tochter Lilla so belastet war und auch Lillas Alkoholsucht und ihre psychische Verfassung erscheinen in einem neuen Licht. Sogar sich selbst und ihre Art, mit Schwierigkeiten umzugehen, kann Juni nun besser verstehen.
Der Autorin zeigt hier auf eindrückliche Weise, welche Auswirkungen die Verdrängung von Traumata auf die nächsten Generationen haben. Das Schweigen und Verschweigen, auch wenn man damit nur seine Nächsten und sich selbst schützen will, kann nicht die Lösung sein. Unbewusst entfalten die Geheimnisse ihre Wirkung und hinterlassen Narben in den Seelen der Nachkommen.
Trude Teige hat für diesen Roman umfangreich recherchiert, ist an Schauplätze gereist und hat mit Betroffenen geredet. Und sie hat sehr viel historischen Stoff verarbeitet. Das gelingt ihr meist eindrucksvoll, so z. B. wenn sie von Ottos und Theklas Erlebnissen rund um Demmin schreibt oder das kriegszerstörte Berlin aufleben lässt. Manchmal aber musste sie dafür belehrende Passagen bemühen, um bestimmte Sachverhalte anzusprechen. Und um alles unterzubringen, was ihr wichtig war, musste sie ihre Konstruktion schon arg bemühen.
Trotzdem hat mich die Geschichte der Großmutter stark berührt und mit viel Anteilnahme und Spannung habe ich ihren schweren Lebensweg verfolgt.
Blasser dagegen bleibt Lilla, Theklas Tochter. Und die Geschichte um Juni war leider etwas zu vorhersehbar und etwas klischeehaft.
Auch wenn mich die literarische Umsetzung etwas unbefriedigt zurückließ, habe ich den Roman doch gerne gelesen. Ich empfehle ihn allen, die Familiengeschichten mit historischem Hintergrund mögen.
Ich habe zuvor schon von der problembelasteten Beziehung zwischen norwegischen Frauen und deutschen Soldaten gewusst, auch vom Massensuizid in Demmin . Doch für manche Leser mag das neu gewesen sein. Diese Wissenslücke zu schließen ist ein Verdienst dieses fesselnden Unterhaltungsromans.