Schweigen ist so schmerzhaft wie die Wahrheit

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Eine junge Frau mit dem hoffnungsvollen und fröhlichen Namen Juni flieht auf eine Insel. Sie hat das Haus ihrer Großeltern, die schon länger tot sind, von ihrer Mutter Lilla geerbt. Juni ist schwanger von ihrem Mann Jahn, der cholerisch und gewalttätig ihr Leben zur Hölle machte, das Kind möchte sie nicht behalten. Juni ist von Selbstzweifeln und Selbstmitleid geplagt, sie versteckt sich nicht nur vor Jahn, sondern auch vor sich selbst. Nun will sie auf der Insel zur Ruhe kommen. Der alte Nachbar Alfred ist ihr eine moralische Stütze, denn er kannte noch ihre Großeltern Tekla und Konrad, natürlich auch Lilla.
Juni beginnt das Haus aufzuräumen und findet verschiedene Dinge, die die Vergangenheit plötzlich in einem anderen Licht erscheinen lassen. Ein Foto ihrer Großmutter, an die Juni sich liebevoll erinnert, zeigt Tekla mit dem deutschen Soldaten Otto. Tekla war eine Tyskertøs, ein verachtetes Deutschenmädchen. In zwei unterschiedlichen Zeit- und Erzählebenen erfährt der Leser ihre Geschichte und begleitet Juni auf ihrer Reise in die Vergangenheit.
Doch zuerst hat Jahn ihre Spur gefunden und als sie ihm weder gehorchen noch nach Hause folgen will, schlägt er sie zusammen. Der alte Alfred und ein plötzlich auftauchender Mann namens Georg Alsaker helfen ihr und Jahn wird von der Polizei abgeholt. Nur langsam erholt sich Juni von dem Schock, der neue Nachbar Georg erweist sich als ein einfühlsamer und kluger Freund. Juni erzählt ihm von der Geschichte Teklas und ihrem Verdacht, dass Großvater Konrad wohl nicht der Vater ihrer Mutter Lilla sein würde. Gemeinsam machen sie sich anhand einiger Dokumente auf die Spurensuche. Diese führt sie später auf einer gemeinsamen Reise nach Demmin, woher Otto, der deutsche Soldat auf dem gefundenen Foto, ursprünglich stammte. Parallel zur Spurensuche entwickelt die Autorin auf der zweiten Zeitebene die tragische Lebensgeschichte von Tekla, die mit der Ausreise aus Norwegen und der Heirat eines Deutschen gleichzeitig ihre norwegische Staatsbürgerschaft verliert.
Demmin, 1945 geschah dort Unbeschreibliches, Hunderte Frauen mit ihren Kindern, aber auch Männer, nahmen sich binnen weniger Tage das Leben. Der Einmarsch der Roten Armee, die Vergewaltigungen und Plünderungen durch entmenschlichte Rotarmisten, das Niederbrennen der Stadt, das konnten viele nicht ertragen oder sie hatten Angst, dass es auch ihnen noch geschehen würde. Demmin ist ein humanitäres Unglück, das lange verschwiegen wurde, in der ehemaligen DDR waren Erzählungen dieser Art über die "Freunde" generell unerwünscht und wurden als westliche, feindliche Propaganda abgetan und verfolgt. Selbst mehr als 30 Jahre nach der Wende ist das Wissen über die Geschehnisse immer noch kein Allgemeingut, nur wer sich tatsächlich interessiert, wird in Büchern und Zeitschriften, teils auch im Fernsehen, fündig. Für Juni ist es ein wahrer Schock.
So wird sich herausstellen, dass Otto von Russen erschossen wurde und Lilla bei einer Massenvergewaltigung durch diese Russen entstanden ist. Tekla wird trotz allem ihr Kind bekommen und mit Konrads Hilfe den Weg zurück nach Hause, nach Norwegen finden. Das Schweigen aber wird sie alle, Tekla, Konrad, Lilla und auch Juni immer begleiten. Juni wird bei der weiteren Suche, begleitet von Georg, immer tiefer eindringen in die Familiengeheimnisse und am Ende auch noch das letzte Rätsel ihrer Herkunft lösen können.
Die ersten Kapitel hatten mich etwas ratlos gemacht und irritiert, aber mit Beginn der zweiten Erzählebene um Teklas Lebensweg hat sich das geändert. Es war spannend, ihn zu verfolgen. Die Unbedingtheit des Bruders von Tekla zu erfahren, die sie fast das Leben gekostet hätten, aber auch die Hilfe von Menschen, die selbst wenig oder nichts hatten, zu erleben, das war sehr eindrucksvoll und berührend. Dabei wird auch der Ursprung der Liebe von Tekla zum Tanz im Regen erklärt, was die Geschichte zu einem Ganzen verbindet. Der Roman verheißt ein tröstliches Ende. Vielleicht werden es Juni und Georg sein, die sich mit Liebe, Offenheit und Vertrauen ein neues Leben aufbauen.
Der Roman liest sich gut und schnell findet man sich in die Zeitebenen ein. Die Protagonisten sind so charakterisiert, dass man keine Probleme hat, sich diese als lebendige Menschen vorzustellen. Trude Teige hat ein weiteres Mal bewiesen, dass sie eine hervorragende Menschenkennerin und -beobachterin und eine perfekte Geschichtenerzählerin ist.