Wütend, eindringlich, poetisch

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ein.lesewesen Avatar

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»Wir sind ein Alptraum. Ich weiß nur nicht wessen.«

… lese ich hinten auf dem Einband und muss schlucken. Ein Satz, der umhaut, genau wie die Geschichte zwischen den Buchdeckeln.

Rezas Leben in der Plattenbausiedlung ist ein Alptraum. Geprägt von Gewalt, Diskriminierung und Kriminalität. Er war 9, als er mit seinen Eltern aus dem Iran floh und nun in den 90ern versucht, seinen Platz in einer fremden Gesellschaft zu finden, irgendwo zwischen Kinderbanden, Kleinkriminellen und Dealern, wovon seine Eltern kaum etwas mitbekommen. Beide sind Akademiker, ihre Abschlüsse werden aber nicht anerkannt. Auch wenn sein Vater nun Taxi fährt, hält er an seinen Werten, seinem Stolz fest. Doch was helfen Reza Werte, wenn er jeden Tag auf der Straße um Anerkennung kämpfen muss, sich durchsetzen muss. Hier herrscht das Gesetz des Stärkeren, wenige gewinnen, die meisten verlieren. Manchmal auch ihr Leben.

In kurzen Episoden aber mit sprachgewaltiger Poesie in seinen direkten Worten schreibt Karim Kahni von der Suche nach Heimat, von Chancenlosigkeit, von Erniedrigung und Wut. Sehr viel Wut! Wut auf ein ganzes Land, in dem es keinen Platz gibt für Menschen wie Reza und seine Familie. Keine Zukunft – einst sozialer Wohnungsbau, jetzt Endstation für die meisten. Die Realität hat ihnen die Flügel gestutzt, sie ziehen nicht mehr weiter, suchen nicht mehr nach einem besseren Dasein, dümpeln genau wie die Schwäne im Teich vor sich hin. Nichts ist geblieben von den stolzen Zugvögeln seiner einstigen Heimat.

Dass sich Reza vielleicht auch dank seiner Bildung aus dem Milieu befreien kann, wird deutlich, wenn man sich die Biografie des Autors betrachtet, denn das Buch trägt einige autobiografische Züge. Doch er wird ein Heimatloser bleiben, auf der Suche nach sich selbst, der sein Trauma in Therapien verarbeiten lernt.

Es ist ein unbequemes Buch, das uns den Spiegel vorhält. Von wegen Willkommenskultur! »Wo »Du bist Gast hier!« eine Drohung ist …«, schreibt Karim Khani. Kalt, unfreundlich und herzlos. Nur nicht hinschauen, wenn wir die unterschiedlichsten Kulturen in Ghettos zusammenstecken – Hauptsache, sie bleiben da, wo sie sind. Ich kann seine Wut nicht nur verstehen, ich kann sie auch fühlen. Und in meinem Kopf läuft in Endlosschleife »Bochum«, in dem sich die Ruhrpottler für ihren Zusammenhalt und ihre Menschlichkeit feiern. »Du Blume im Revier« … Ob Menschen wie Reza die Hymne mitgrölen würden?

Fazit: Ein Buch, das alles auf den Punkt bringt, kraftvoll, schonungslos und doch mit poetischen Worten und Bildern. Das das typische Leben in der Diaspora zeigt, Wut begreifbar macht. Das zeigt, dass Integration nicht nur von einer Seite ausgeht. Ein Heimatbuch eines Heimatlosen, wie er selbst sagt.

Ich bedaure, dass ich »Hund, Wolf, Schakal« noch nicht gelesen habe, werde das aber umgehend nachholen. »Als wir Schwäne waren« ist definitiv ein Highlight für mich.