Ereignisse, die Menschen verändern

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
nadines_buecher Avatar

Von

Die 23-Jährige Völkerkunde-Studentin Alexandra Liebermann wohnt zusammen mit ihrer 90-Jährigen Großmutter, die sie liebevoll Momi nennt, in Ost-Berlin. Von Alex‘ – oder Süppchen, wie Momi sie nennt – Eltern ist keine Rede, allerdings lassen die Träume die Alex manchmal hat und die Angst vor Massen darauf schließen, dass ihnen bei einer Flucht etwas zugestoßen ist und Alex verwaist zurückgeblieben ist. Am Abend des 9. November 1989 kommt Alex‘ Freundin Meike in Momis Haus, da ihr Freund Hugo, der wie sie regelmäßig für Freiheit demonstriert, verschwunden ist, und sie Alex bitten möchte ihr bei der Suche zu helfen bzw. herauszufinden ob er verhaftet wurde. Da Momi, die Meike und ihren Freiheitsdrang offenbar nicht mag, Alex bittet ihr den Fernseher einzuschalten, um die Leere in ihrem Kopf zu bekämpfen wie sie sagt, bekommen die drei Frauen die Pressekonferenz von Günter Schabowski mit, der eine Ausreise in den Westen genehmigt. Meike möchte sich im Westfernsehen, sehr zum Missfallen von Momi, vergewissern und schaltet um. Dort wird die Ausreisegenehmigung bestätigt. Sofort möchte Meike zum nächsten Grenzübergang in die Bornholmer Straße, ist Feuer und Flamme. Alex zögert, ob sie nicht doch auf Momis bittere Aussagen zu zusammenbrechenden Wänden, untreuen Männern und auf ihre eigene Angst, die für sie sicheren Grenzen ihres Zuhause und der DDR, zu überschreiten, hören soll, ist aber schließlich mutig und folgt der Freundin. Am Grenzübergang werden Meike und Alex schnell durch die Massen getrennt, so dass Alex mit einem Menschenpulk unter dem geöffneten Schlagbaum direkt in die Arme des Politikstudenten Oliver gespült wird, der sie sofort aus der Menge zieht und sie in seine Wohnung im Wedding bringt. Nicht nur die Wohnung, die Alex als unheimlich geräumig empfindet im Gegensatz zu Momis vollgestopfter Wohnung, sondern Oliver selbst beeindrucken Alex. Beide stellen fest, dass sie an dem geschichtsträchtigen Abend die große Liebe gefunden haben.
Das nächste Kapitel berichtet vom Ende der Sommerferien 1920, das die 16-Jährige Paula Thomas mit ihrem 4 Jahre älteren Bruder Manfred, dessen Freunden Clemens und Harry im Strandbad am Wannsee erlebt. Nicht Schul- und Universitätsbeginn beeinflusst die jungen Leute an ihrem letzten Tag im Strandbad, sondern auch Inflation, politische Gesinnung und die wachsende Kluft zwischen arm und reich. Die Geschwister Thomas gehören zwar zu den Bessergestellten, auch wenn ihr Vater, ein Journalist, oftmals in Zahlungsschwierigkeiten kommt, jedoch wird in ihre Bildung investiert. Paula ist heimlich in Clemens verliebt, den kämpferischen, großen, braungebrannten, intelligenten und beliebten Freund ihres Bruders, der nach den Sommerferien Rechtswissenschaften studieren wird, sich an den Arbeiter-streiks beteiligt und der Sozialistischen Partei beigetreten ist. Einige Monate später, im Winter 1920, macht sich Manfred auf Clemens bei einem Streik zu unterstützen und eine Rede von August Bebel anzuhören. Paula möchte ihn begleiten, sie möchte mit zu Clemens, was ihr Vater jedoch unterbindet. Ob dies mit Clemens selbst, den er als Gernegroß bezeichnet, zu tun hat oder weil ein Mädchen nicht an solchen Kundgebungen teilnehmen soll, wird zunächst nicht aufgelöst.
Dass es sich bei Paula um Momi handelt, lässt sich vermuten, da es im Hause Thomas aufgrund der Inflation Bratkartoffeln und Mettwurst gibt, was Alex auch im November 1989 für sich und ihre Großmutter zum Abendbrot zubereitet hat. Auch das Blechschild „Hier dürfen Familien Kaffee kochen“, das am Kiosk des Strandbads in Wannsee hängt, wo Clemens für seine Freunde Kaffee zubereitet, scheint ein Hinweis zu sein, denn dieses Schild hängt offenbar 69 Jahre später in Momis guter Stube.
Weltgeschichte und wie sie Menschen beeinflusst – 1920 und 1989, Anfang und Ende. Was ist passiert, das Paula Thomas hat verbittern lassen, so dass sie ihre Enkelin Alexandra vor der Freiheit warnt? Wie fügen sich die Geschichten der beiden Frauen zusammen? Was ist mit Alexandras Eltern passiert?
Charlotte Roth schafft es in den ersten beiden Kapiteln, einen Spannungsbogen aufzubauen, dem gut zu folgen ist und den ich als Leserin gerne weiterverfolgen würde. Die Charaktere haben Geheimnisse, die man nur allzu gerne lüften möchte, damit sich die gesamte Geschichte von drei Generationen entfaltet.