Ausgeliefert!

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Thema dieses Buches sind die Auswirkungen, die ein Aufenthalt in einem sogenannten 'Verschickungsheim' nach sich ziehen konnte. Es gab diese Heime bis in die 90er Jahre hinein, und die Eltern glaubten, ihren Kindern etwas Gutes zu tun, bis dann so peu à peu die grausamen Maßnahmen in diesen Heimen bekannt wurden. Die Kinder waren ohne Schutz den dortigen Betreuern ausgeliefert.
So erging es auch Susanne, die die Hauptprotagonistin in diesem Buch ist. Schon im Prolog erfahren wir, wie grausam die Kinder bestraft wurden, physisch und psychisch, wobei es keinen eklatanten Grund dafür gibt.
Das Buch schildert, wie eine solche traumatische Trennung vom Elternhaus, auch wenn es nur für ein paar Wochen ist, Auswirkungen auf das gesamte Leben haben kann, denn auch die erwachsene Tochter Susannes merkt, dass mit ihrer Mutter etwas nicht stimmt. Und selbst 50 Jahre später hat Susanne noch Albträume, die auf diese Zeit zurückfallen. Da sie damals aus ihrem vertrauten Umfeld gerissen wurde, ist die Familie sehr wichtig für Susanne. Die Familie kommt nun am Totenbett der Mutter zusammen.
Es gibt keine Möglichkeit für die Verschickungskinder, ehrlichen Kontakt zu ihren Eltern aufzunehmen, denn ihre Briefe werden zensiert. Susanne hat dazu noch das Pech, dass man ihr nach der Tortur nicht glaubt und sie als undankbar darstellt. Gerade für Mädchen muss diese Erfahrung besonders schlimm gewesen sein, denn sie wurden damals zum Angepasstsein erzogen. Susanne durchschaut jedoch diese Strukturen und wehrt sich. Und wahrscheinlich haben sich in diesen Heimen jene Kinder, die sich total in ihr Schicksal ergaben, wohlgefühlt.
Susannes Mutter liegt nun im Sterben und entschuldigt sich bei ihrer Tochter. Diese weiß sofort, worum es geht, und so erfahren wir gemeinsam mit Susannes Familie welche Grausamkeiten sich während der 'Verschickung' zugetragen haben. Susanne begreift, dass dies nun ihre große Chance ist, die Traumata dieser Zeit endgültig zu überwinden.
Ich sehe hier auch die Botschaft, mehr miteinander zu reden, auch über unangenehme Erfahrungen, nichts in sich hineinfressen, sondern ein Ventil suchen.
Der Schreibstil der Autorin ist gut zu lesen, man fliegt durch die Zeilen und bekommt einen detaillierten Eindruck der jeweiligen Situation und auch der jeweiligen Gefühlswelt, sowohl damals als auch in der Gegenwart.
Die Spannung entsteht u.a. durch den frühen Hinweis, dass wegen Susanne jemand gestorben ist. Man ahnt zwar schon, um wen es sich handeln könnte, aber erst gegen Ende erfährt man Genaueres.
Ich hatte eine interessante Lesezeit, die mich zu vielen Gedanken anregte, besonders da wir in unserem Umfeld zwei Erwachsene haben, die auch von ihren Eltern 'verschickt' wurden, weil man ihnen etwas Gutes tun wollte.